Nichts Menschliches ist ihm fremd

Die wilden Hunde von Pompeii

Eigentlich hätte er das nette, kleine Schoßhündchen einer neapolitanischen Familie werden wollen. Nur: Die hat ihn noch im Welpenalter über den Zaun der Ausgrabungsstätte Pompeii geworfen. Und so führt er nun ein "Hundeleben", Liebe und Kämpfe inklusive.

Eigentlich hätte das nette Hündchen den Respekt gebietenden Namen "Cave Canem" tragen sollen, doch der Wind in den Ruinen von Pompeii und ein eklatanter Hörfehler seines pompeiianischen Ziehhundevaters hat daraus das abstruse Wort "Kaffeekanne" gemacht.

Man merkt's sofort: Helmut Krausser, der vor gut zehn Jahren als "das Talent der jungen deutschen Literatur" gefeiert worden ist und der von Charles Bukowski über Ernst Jünger bis zu Umberto Eco alle nur denkbaren und undenkbaren Stationen durchlaufen und dabei seinen eigenen Stil perfektioniert hat, ist wieder am Werk. Die typische Krausser'sche Fabulierlust, der schräge Humor, der Hang zu Mythos und Mystik, kurzum: der vertraut-rotzige und doch durchaus angenehme "Krausser-Sound" prägt auch die neue Geschichte, die von den "wilden Hunden von Pompeii".

Tier- und Menschenwelten

Jeder Neapel-Tourist kennt sie: die struppigen, oft räudigen Promenadenmischungen, die im pompeiianischen Freilichtmuseum den Besucherströmen hinterher zotteln, um so ihre Happen zu ergattern, oder die einfach in irgendeiner Ruinenecke im Schatten vor sich hin dösen.

So wie der "cimitero acattolico", der evangelische Friedhof von Rom, ein nicht nur geduldetes, sondern auch betreutes Auffanglager für ausgesetzte und ausgerissene Katzen ist, ist es Pompeii für die Hunde.

Einen von ihnen, eben diese "Kaffeekanne" mit weißem Fell, hat sich Helmut Krausser nicht nur heraus gepickt, sondern auch gleich zum Ich-Erzähler gemacht, um so eine abenteuerliche Geschichte über das Pompeii von damals und heute, aber auch die Tier- und Menschenwelten im Allgemeinen zu präsentieren.

Vom Himmel gesandte Mission

Ein Bildungsroman der anderen Art, wenn man so will, mit einem sympathischen Tolpatsch als Held, der sich vom verhungernden Welpen und "Guthund" philosophisch-karitativer Prägung über die darwinistisch organisierte Kampfmaschine bis zum wahren Outlaw und Anarchisten entwickelt. Ein echtes Hundeleben, wäre da nicht eine historische Mission, die ihm von oben, vom Hundehimmel, zugedacht worden ist, und die nichts Geringeres umfasst, als Pompeii und Umgebung vor einem neuerlichen Ausbruch des Vesuvs zu retten.

Das ist der "plot", alles andere ist erzählerisches Handwerk in bekannter Qualität, mit - und das sollte auch nicht verschwiegen werden - kleinen Mängeln. Auf knapp 270 Seiten legt Krausser eine durchwegs spannende und unterhaltsame Abenteuer- und Fantasy-Geschichte hin, in der den Hunden nichts Menschliches fremd ist: die Liebe und der Kampf, die Kaste und die Klasse, der Traum und der Trip.

Garantiertes Vergnügen

Das ist der Stoff, aus dem Filme gemacht werden, und seitdem Helmut Kraussers Maria-Callas-Roman "Der große Bagarozy" mit Till Schweiger verfilmt worden ist, ist die Annahme, dass auch "Die wilden Hunde von Pompeii" über die Kinoleinwände streunen werden, nicht gerade abwegig.

In Buchform - und davon soll ja hier die Rede sein - ist das Vergnügen ebenfalls garantiert, auch wenn es im zweiten Teil des Romans, in dem die historisch-mythischen Exkursionen Überlänge und Überdeutlichkeit annehmen, ein wenig getrübt wird.

Trotzdem: Ein neuer Krausser für Jung und Alt, auch wenn nicht alles, was die "wilden Hunde von Pompeii" so treiben, unter das strenge Prädikat "jugendfrei" fallen mag.

Buch-Tipp
Helmut Krausser, "Die wilden Hunde von Pompeii", Rowohlt, ISBN: 3498035207