Das Ringen um Wahrheit und Gewissheit
Was heißt Glauben?
Echter Glauben erfordert Glaubwürdiges, etwas, das erfahrbar, nachvollziehbar und mittelbar sein muss. Er heißt, nicht im Besitz von Wahrheit zu sein. Fundamentalisten betonen die Gewissheit ihres Glaubens so sehr, dass sie zu fanatischen Ideologen werden.
8. April 2017, 21:58
Expertenmeinungen über den Glauben
Wer ist im Besitz des wahren Glaubens? Wer hat recht, wer unrecht? Die Begegnung mit Menschen aus anderen Religionen und Kulturen wird immer selbstverständlicher, aber auch die religiös kulturellen Unterschiede zwischen ihnen treten immer deutlicher hervor. Vielerorts bedient man sich tief sitzender Vorurteile, schürt Ängste und schafft dadurch politische Gegensätze.
Konflikte vorprogrammiert
Das Ringen um Wahrheit und Gewissheit ist eine hochaktuelle Auseinandersetzung. Innerhalb und auch zwischen den großen Kulturen und Religionen gibt es Konflikte zwischen fundamentalistischen, nationalistischen und liberalistischen Strömungen. Fundamentalistische betonen ihre Gewissheit des Glaubens so sehr, dass aus den "Verehrern des einzigen und wahren Gottes, die einzig wahren Gottesverehrer werden, wie das der Wiener Philosoph Augustinus Karl Wucherer-Huldenfeld treffend formuliert hat. Dies drückt sich dann in Intoleranz, Neid, Missgunst, Exklusion der Anderen aus und kann im religiös motivierten Terror enden.
Teufelskreis mit Sogwirkung
Der Fundamentalismus hat Angst vor dem Werteverfall und der Desorientierung, die der säkulare Liberalismus mit sich bringt. Der Liberalismus seinerseits hat Angst vor dem Gewaltpotential der Religion und versucht -wo möglich - sie aus dem gesellschaftlichen Dialog abzudrängen. Dies verstärkt wiederum den Fundamentalismus. Ein Teufelskreis mit Sogwirkung.
Lösungsvorschläge gesucht
Das liberalistische Modell lautet: Alle Religionen sollten endlich auf ihren Wahrheitsanspruch verzichten. Dann gäbe es keinen Grund mehr für Gewalt. Solche Vorschläge hält der Frankfurter Dogmatiker Siegfried Wiedenhofer für äußerst kurzsichtig:
"Wenn man den Fundamentalismus wirksam bekämpfen will, muss man konsequenterweise auch gegen die Gefahren und Schattenseiten vorgehen, die der Liberalismus mit sich bringt. Die heutige Marktgesellschaft ist geradezu von pseudoreligiösen Götzen geprägt: Geld, Erfolg, Ansehen, Status, Ich-AG, Wachstum und Geschwindigkeit sind die Spitzen dieser Wertehierarchie. Wer damit erfolgreich ist, kann subjektiv den größten Blödsinn glauben, solange er anderen deshalb nicht den Schädel einschlägt."
Kriterien des Glaubens
Im durchschnittlichen Verständnis bedeutet das Wort "Glauben soviel wie "meinen, "schätzen, "für wahrscheinlich halten. Doch damit liegt man daneben, wenn man das Phänomen ernst nimmt. Denn ein solcher Glaube würde sich in nichts unterscheiden von einer privaten Spekulation, die man haben kann oder auch nicht, die aber keinesfalls irgendeine gesellschaftliche oder kulturelle Bedeutung für sich beanspruchen dürfte. Echter Glauben erfordert etwas Glaubwürdiges, muss erfahrbar sein, für Vernunft und Gefühl nachvollziehbar und prinzipiell auch mittelbar sein.
Matthias Jung ist Religionswissenschaftler an der Universität Frankfurt. Ob Religion glaubwürdig ist und Wahrheit für sich beanspruchen kann, misst er an pragmatischen Kriterien: "Wenn sich Religion praktisch bewährt, dann ist das ein Wahrheitskriterium.
Kein Verzicht auf Absolutheitsanspruch?
Soll also das Christentum nicht auf seinen Absolutheitsanspruch verzichten? Siegfried Wiedenhofer verteidigt jedenfalls einen - wie er es nennt - unverwechselbaren Anspruch, die Wahrheit bezeugen zu müssen:
"Alle Religionen eröffnen einen bestimmten Blick auf die Wirklichkeit und lassen uns etwas Einzigartiges sehen. Deshalb würden sie sich selbst verraten, wenn sie ihren Wahrheitsanspruch aufgeben.
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