Hommage an Friederike Mayröcker

Liebesspiel mit Sprache

Gedichte, poetische Prosa und Hörspiele, in denen der Reichtum der Welt enthalten ist - all das ist im Werk von Friederike Mayröcker zu finden. Sinneseindrücke, Einfälle, Geistesblitze, Stimmungen, Hörerlebnisse und Alltagsspuren.

Als "bekannt, aber nicht gekannt" bezeichnete ein Literaturwissenschafter einmal die Dichterin, die höchstes Ansehen in der Fachwelt genießt, mit ihrem Werk aber einen eher kleinen Leserkreis erreicht, ein "Gesamtkunstwerk" nannte sie der Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums.

"Geplante" Literaturkarriere

1924 in Wien als Tochter eines Lehrers und einer Modistin geboren, wurde Mayröcker als Kind wegen ihrer zarten Gesundheit stark von der Außenwelt abgeschirmt. Bereits als 15-Jährige begann sie, kurze emotionale Prosatexte zu schreiben. In der von Otto Basil herausgegebenen Literaturzeitschrift "Plan" veröffentlichte sie 1946 erste Gedichte. Bis 1969 unterrichtete sie als Englischlehrerin. Ein 1950 begonnenes Germanistik-Studium musste sie abbrechen, weil ihr Lehrerinnengehalt die wirtschaftliche Basis der Familie sicherte.

1951 stieß Mayröcker zu einem Kreis junger Autoren um Hans Weigel, dem unter anderen Ingeborg Bachmann und Hertha Kräftner angehörten. Sie lernte Andreas Okopenko kennen und 1954 Ernst Jandl, der bis zu seinem Tod im Jahr 2000 ihr "Hand- und Herzgefährte" war.

Experimentelle Technik

Ehe Mayröcker ihre Techniken der Collage, Montage, Assoziations- und Traumarbeit entwickelte, erschien 1956 "Larifari. Ein konfuses Buch" mit Prosaskizzen der vorexperimentellen Phase. Da es für Avantgarde-Literatur in Österreich keine Publikationsmöglichkeiten gab, vergingen Jahre bis zur nächsten Veröffentlichung in Deutschland. Zwischen 1967 und 1971 verfasste Mayröcker eine Reihe von Hörspielen, vier davon gemeinsam mit Ernst Jandl, darunter das 1968 mit dem Hörspielpreis der Kriegsblinden ausgezeichnete "Fünf Mann Menschen".

Nach den beiden experimentellen Prosabüchern "Minimonsters Traumlexikon" (1968) und "Fantom Fan" (1971) wandte Mayröcker sich vom "experimentellen Purismus" ab, um wieder mehr Erfahrungswirklichkeit in ihre Arbeit zu integrieren. Diesen Einschnitt markiert die Erzählung "je ein umwölkter gipfel" (1973). In der Folge versuchte die Dichterin, eine "neue experimentelle Romanform" zu entwickeln. Mit suggestiver, metaphorisch geprägter Prosa von lyrischem Charakter löste sie herkömmliche Vorstellungen von erzählender Literatur, Geschichte und Identität auf und beeinflusste damit junge Autoren im gesamten deutschen Sprachraum.

Leben ist Schreiben

Mayröckers große Prosa-Arbeiten - "Die Abschiede" (1980), "Reise durch die Nacht" (1984), "Das Herzzerreißende der Dinge" (1985), "mein Herz mein Zimmer mein Name" (1988), "Stilleben" (1991), "Lection" (1994) sowie "brütt oder Die seufzenden Gärten" (1998) sind "keine Autobiografie, dennoch authentisch", wie die Autorin es einmal charakterisiert hat.

Parallel zu den Texten entstehen immer wieder auch Zeichnungen und Bildergeschichten. 2003 erschien die Gedichtsammlung "Mein Arbeitstirol" und der schmale Prosaband "Die kommunizierenden Gefäße". In ihm beschreibt sie auch ihren literarischen Alltag:

Ich beginne den Tag indem ich versuche, jegliche kleinste Verrichtung, jeden Handgriff, zu verbalisieren, das ist 1 Schreiben hinter dem Schreiben, sage ich, es löst sich alles in Sprache auf.

2007 erschien "Und ich schüttelte einen Liebling", das ihrem Lebens- und Arbeitsgefährten Ernst Jandl gewidmet ist. "Paloma" (2008) ist die Summe von 99 Briefen, die Mayröcker als eine Art innere Öffnung beschreibt.

ihrem letzten Gedichtband, "Scardanelli", begibt sich die 84-jährige Dichterin auf die Spuren Hölderlins und mit ihm aus der Wiener Wohnung und der Tübinger Turmstube ins Freie.

Doch keine Nobelpreisträgerin

Mayröcker ist u.a. mit dem Großen Österreichischen Staatspreis (1982) und dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich (1987) ausgezeichnet worden, weiters mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis 1993, dem Else-Lasker-Schüler-Preis 1996 und 2001 mit dem Georg-Büchner-Preis, der renommiertesten Auszeichnung der deutschsprachigen Literatur. Für ihren kürzlich erschienenen Gedichtband "Scardanelli" erhielt Mayröcker den Hermann-Lenz-Preis.

Im Vorfeld der Literatur-Nobelpreis-Verleihung 2004 war Mayröcker als eine der Favoritinnen gehandelt worden. Erhalten hat ihn ihre Kollegin Elfriede Jelinek. Mayröcker lehnte es ab, ihr zu gratulieren: "So selbstlos bin ich nicht."