Mörike, der "schwäbische Goethe"

Traditionalist, Modernisierer und Heimatdichter

Lange galt er als kauziger, weltfremder Biedermeierdichter: Eduard Mörike, dessen 200. Geburtstag sich heuer jährte. Heute wird er als bedeutender Lyriker seiner Zeit gesehen, der neue Themen fand. Sein bekanntestes Prosawerk ist "Mozart auf der Reise nach Prag".

"Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte. Süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll durchs Land ... ." So beginnt eines der bekanntesten und schönsten deutschen Frühlingsgedichte. Geschrieben hat es der "schwäbische Goethe" Eduard Mörike. Sein 200. Geburtstag jährte heuer am 8. September zum 200. Mal. Mörike galt lange als kauziger und weltfremder Biedermeierdichter. Doch dieses oberflächliche Urteil hat die Literaturforschung längst verworfen. Sie erkennt in dem Schriftsteller den vielschichtigen Vertreter einer Übergangszeit.

Die Experten Inge und Reiner Wild sehen in Mörike zugleich einen Traditionalisten und Modernisierer, einen Universalisten und einen Heimatdichter: "Als einer der bedeutendsten deutschsprachigen Lyriker des 19. Jahrhunderts war er Klassik und Romantik verhaftet und bewahrte den Vorbildcharakter der Antike. Zugleich fand er neue, sozialpsychologische Themen."

Poesie als Therapie

Themenvielfalt und künstlerische Formenfülle brachten ihn auch schon in die Nähe des Realismus. Für den Wissenschafter Georg Braungart war der kränkelnde, hypochondrische und antriebsarme Poet ein Versager im bürgerlichen Pfarrerberuf. Im selben Atemzug betont er jedoch "die unheimliche geistes- und kulturgeschichtliche Relevanz" des Schriftstellers.

"Mörike setzte die ästhetische Ordnung seines Werks gegen die melancholische Unordnung seiner Person", sagt Braungart. "Er nutzte die Poesie als Therapie." Der Literaturprofessor bemerkt in Mörikes Texten "eine Vorliebe für Dämmerzustände" und "ironisch-doppelbödige Passagen". Das Werk biete eine große Bandbreite und Spannung. Stimmungen gabeln zwischen Traum und Wirklichkeit, Lebensfreude und Melancholie. Inge und Reiner Wild würdigen Mörikes "innovative Sprache" in Gedichten, Erzählungen und Dramen. Zeitgenosse Justinus Kerner meinte, der Dichter sei "vielleicht der feinste Lyriker der Gegenwart". Freund David Friedrich Strauß sagte: "Mörike nimmt nur eine Handvoll Erde, drückt sie ein wenig, und alsbald fliegt ein Vögelchen davon."

Als Arzt-Sohn geboren

Eduard Mörike wurde in Ludwigsburg als eines von 13 Kindern eines Arztes geboren. Er besuchte eine Lateinschule, die Klosterschule in Bad Urach und das Evangelische Stift in Tübingen. Seine achtjährige Vikariatszeit verbrachte Mörike an etwa zehn Orten in Württemberg. Erst 1834 wurde der Poet Pfarrer in Cleversulzbach bei Heilbronn, doch das häufige Predigen galt ihm als große Last.

Bereits als 39-Jähriger ließ sich Mörike pensionieren. Viele Jahre lebte der Schriftsteller zusammen mit Mutter und Schwester. Sein Liebesglück gliederte sich in Phasen: Er schwärmte für eine Cousine, verliebte sich in ein Schenkmädchen, verlobte sich kurzzeitig mit einer Pfarrerstochter und heiratete die Katholikin Margarethe Speeth. Das Ehepaar bekam zwei Kinder und trennte sich.

Bekanntestes Prosawerk "Mozart auf der Reise nach Prag"

Mörike schrieb 232 Gedichte, viele wurden von berühmten Komponisten vertont. Als bekanntestes Prosawerk gilt die Novelle "Mozart auf der Reise nach Prag", das die Persönlichkeit des Komponisten und den Zeitgeist des Rokoko mit genialer Einfühlsamkeit schildert.

Hinzu kommen der Künstlerroman "Maler Nolten" und "Das Stuttgarter Hutzelmännlein" samt "Historie von der schönen Lau", angesiedelt am Blautopf zu Blaubeuren. Mörike kannte Schwaben wie seine Westentasche, zog er doch etwa 30 Mal um. Manchmal fühlte sich der Schriftsteller "wie ein gehetztes Wild". Mörikes Grab liegt auf dem Stuttgarter Pragfriedhof.

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Eduard Mörike (1804-2004)

Buch-Tipps
"Mörike-Handbuch. Leben - Werk - Wirken", Inge und Rainer Wild, J. B. Metzler Verlag, ISBN 3476018121

"Eduard Mörike. Die gestörte Idylle", Artemis & Winkler Verlag, ISBN 3538071764