Die Gottesmutter und die moderne Welt
Unbefleckt empfangen
Das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariens beschwor das entgegengesetzte Weltbild. Nicht naturwissenschaftliche Kausalität, sondern geistige Kräfte, nicht sündhafte Fortpflanzung, sondern begierdeloses Werden stehen da im Hintergrund.
8. April 2017, 21:58
Joszef Niewiadomski über Ursünde und Begehren
Vor 350 Jahren wurde das Dogma festgelegt, dass Maria als einziger Mensch unbefleckt von der Erbsünde geboren worden sei. Vor 350 Jahren begann sich die moderne Naturwissenschaft gerade zu formieren, man fragte sich, wie Fortpflanzung stattfindet. Die Erde hatte ihren Platz in der Mitte der Welt verloren, und kritische Geister meinten, dass die biblischen Geschichten und das Christentum insgesamt nur eine Art von Märchen seien und der Materialismus die bessere Weltanschauung.
Ausnahmegestalt Maria
Die Lauretanische Litanei ist voll von poetischen Metaphern für Maria, die Gottesmutter. Aber auch für die moderne Theologie ist Maria eine Ausnahmegestalt: Sie ist die Frau, die sich nicht anpasst an gesellschaftliche Moralvorstellungen, die es wagt, einem unehelichen Kind das Leben zu geben, eine prophetische Stimme, eine starke Tochter Gottes. Dass Papst Pius IX. vor 150 Jahren das Dogma der "unbefleckten Empfängnis Mariens" erklärt hat, dass Maria "von jedem Schaden der Erbsünde unversehrt bewahrt wurde, entspricht dieser Sonderstellung Marias im kulturellen Gedächtnis der Christenheit.
Syllabus von Papst Pius IX.
Vor 150 Jahren herrschten unruhige Zeiten in Italien. Papst Pius IX. musste vor den republikanischen Truppen Garibaldis aus Rom fliehen. Erst nach der Niederschlagung des Aufstands mit Hilfe der habsburgischen Truppen konnte der Papst wieder nach Rom zurückkehren.
Die moderne Welt, die Eisenbahn, die Naturwissenschaft, die Aufklärung, die Forderung nach allgemeinen Menschenrechten, nach Demokratie, nach der Einheit Italiens, nach allgemeiner Bildung - all das schien die Existenz der römisch-katholischen Kirche zu gefährden. Papst Pius IX. gab daher einen Syllabus heraus, in dem die gefährlichen Irrtümer der Moderne aufgelistet waren. Dieser Syllabus ist bis heute in Kraft.
Pius IX. wurde erst unlängst, vor vier Jahren selig gesprochen. Er hat mit diesem Dogma die heile Welt der katholischen Tradition fixieren wollen. Eine ähnliche Absicht verfolgte er mit der Erklärung, dass ein Papst "ex cathedra unfehlbar sei - ein Reflex auf den Verlust des Kirchenstaates nach der Einigung Italiens.
Das Dogma und seine Missinterpretationen
Das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Marias hebt aus der ganzen Geschichte der Menschheit einen einzigen Menschen heraus. Mit diesem Gedanken habe die Moderne ihre Schwierigkeiten, meint der Innsbrucker Theologe Joszef Niewiadomski. Denn das biblische Denkmuster funktioniert nach einer eigenen Logik: Es beginnt mit den Erfahrungen eines konkreten Meschen, die allmählich auf die Menschheit ausgeweitet werden. Wer sagt, ich liebe alle Menschen, lügt nach biblischem Verständnis, wenn er nicht einen konkreten Menschen liebt.
Ein von Katecheten und Predigern häufig weitergegebenes Missverständnis des Dogmas ist, es handle sich hier um eine biologische Aussage über Maria. Niewiadomski betont, dass das Dogma nicht biologistisch und naturwissenschaftlich argumentiert oder zu verstehen ist. Das Dogma besagt, dass Gottes Gnade sich an den einzelnen Menschen wendet, der sich anders entwickeln kann, als es eine bloße kausale und deterministische Betrachtung zulassen würde.
Über Erbsünde, Begehren und deren Kultivierung
Menschen sind von Natur aus gut, jedoch von Geburt an in die Erbsünde verstrickt. Von "Erbsünde ist allerdings nicht in der Bibel zu lesen. Der Begriff kam erst durch den Kirchenvater Augustinus im vierten Jahrhundert auf.
Erbsünde werde meist mit Sexualität assoziiert, aber das treffe nicht den Sinn der Erbsündenlehre, sagt Joszef Niewiadomski:
"Menschen leben verstrickt in Gewalt und Lüge, von Geburt an, denn niemand kann sich diesem über Generationen gewachsenen Zusammenhang des Unheils entziehen. Die Wurzel davon ist das Begehren des Menschen, das sich an das kleine irdische Glück klammert. Doch Menschen sind auf Größeres angelegt: Ihr Herz verlangt nach der Unendlichkeit".
Doch dafür braucht es eine "Kultivierung des Begehrens, das heißt auch eine bewusste Lebensführung und eine bewusste Wahl des Lebenszieles.
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