Kulturgeschichte der Sinne
Tore zur Welt (Teil 1)
Hören, Sehen, Schmecken, Fühlen, Riechen - unsere Sinne basieren zwar auf einer Reihe biologischer Konstanten, doch unterliegen sie auch dem gesellschaftlichen und kulturellen Wandel. Sinneseindrücke sind also nie objektiv, das gilt auch für das Sehen.
8. April 2017, 21:58
In der klassischen, seit der Antike gültigen Hierarchie der Sinne, nimmt der Sehsinn den höchsten Rang ein. Er gilt als der nobelste Sinn und ist Kennzeichen des aufrecht gehenden Menschen.
Er erlaubt den Blick in die Ferne, den Blick zu den Gestirnen und den Blick in die Sphäre des Göttlichen. Am Beginn der Neuzeit setzt allerdings eine Entwicklung ein, die das Auge fast zum Alleinherrscher gemacht hat.
Die Diktatur des Auges
Zahlreiche neue Erfindungen, darunter das Teleskop, sind, wie viele Kulturhistoriker heute meinen, dafür verantwortlich, dass der Sehsinn, der für Distanz, Analyse, Abstraktion und damit für höhere Erkenntnis steht, immer dominanter wurde und schließlich alle anderen Sinne überflügelt hat.
Der englische Philosoph und Dichter Samuel Taylor Coleridge sprach von der "Despotie des Auges", der amerikanische Kulturhistoriker Martin Jay in Anspielung auf die Rolle von Teleskop und Mikroskop, von der Etablierung eines "skopischen Regimes".
Buchdruck veränderte Gleichgewicht der Sinne
Sein Landsmann, der Medientheoretiker Marshal McLuhan geht ebenfalls von der Vorherrschaft des Visuellen aus, führt sie aber nicht auf astronomische oder medizinische Instrumente zurück, sondern auf die Erfindung des Buchdrucks.
Mit ihm, so meinte er, verlor die mündliche Kommunikation an Bedeutung, das Hören trat gegenüber dem Sehen zurück. Und damit wandelte sich die Einstellung zur gesamten Welt.
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