Pflegeberufe: Meinungen - Initiativen - Aussichten

Gesund pflegen

Noch nie war der Pflegenotstand in Österreich so hoch wie jetzt und noch nie wurde so sehr gespart wie jetzt. Die Folgen: Wegen Personalmangels bleibt den Pflegenden immer weniger Zeit für mehr Arbeit und mehr Pflegebedürftige. Droht der Kollaps?

Univ.Prof. Ulrike Schneider zur Alterspflege

Die Hauskrankenpflege wird neben der Alterspflege in den Heimen immer wichtiger, denn die Zahl der zu Betreuenden steigt kontinuierlich. Für die Pflegekräfte wird damit die Zeit pro Einzelfall immer knapper. Der Stress steigt - zu Lasten der Pflegenden wie der Betreuten.

Wird Thema Alterspflege verdrängt?

Die Pflegekräfte arbeiten sich krank. Wen wundert’s, bedenkt man, dass es immer mehr pflegebedürftige Menschen gibt, aber gleichzeitig weniger Zeit und Geld zu deren Betreuung zur Verfügung gestellt wird. "Priorität für die Hauskrankenpflege“ heißt es meistens nur nach aufgedeckten Pflegeheimskandalen, wenn kurzfristig der "Pflegenotstand“ ausgerufen wird. Ansonsten wird diesem Thema erstaunlich wenig Beachtung geschenkt. Vielleicht verlässt man sich zu sehr auf die Pflege-GrenzgängerInnen der neuen EU-Mitglieder? Oder wird das Thema einfach verdrängt, weil es letztendlich um unsere eigene Zukunft als Pflegefälle geht?

Pflegeberufe. Der Job fürs Leben

Unter diesem Slogan starteten Ministerien und Hilfsorganisationen gemeinsam mit dem ORF eine Image- und Informationskampagne, die junge Menschen, aber auch Wiedereinsteiger auf die vielfältigen Berufsmöglichkeiten und Karrierechancen in Pflegeberufen aufmerksam machen und ermuntern sollen, zumindest darüber nachzudenken, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Ziel der Kampagne ist es, eine Botschaft zu vermitteln, die "diese Berufe aus der Ecke des Mitleids, des 'Helfersyndroms' herausholt und sie als lebensfrohe, lebensbejahende und selbstverständliche Berufe in einer modernen Gesellschaft platziert“. Die Botschaft hör ich wohl ...

Überlastungen an der Tagesordnung

Die Pflegenden haben es nämlich nicht nur mit einer größeren Zahl an Pflegebedürftigen zu tun, sondern auch mit komplexeren Krankheitsbildern. Es gibt immer mehr multimorbide und psychisch kranke Menschen, die in ihren eigenen Wohnungen betreut werden. Ulrike Schneider, Leiterin der Abteilung für Sozialpolitik an der WU Wien dazu:

“Die Ansprüche an die Pflegearbeit sind stark gestiegen. Gleichzeitig wird gespart und der Druck, mehr in weniger Zeit zu leisten, hinterlässt bereits seine Spuren. Die Folgen: Langzeitkrankenstände, geringe Verweildauer im Beruf und vorzeitiges Ausscheiden aus der Erwerbstätigkeit wegen körperlicher Schädigungen. Darunter leidet natürlich auch die Betreuungsqualität.“

Dazu kommt noch der tägliche Umgang mit Leidenden und Sterbenden, was die Gefahr in sich birgt, auch psychisch auszubrennen.

Und die PflegerInnen selbst?

Die Rot-Kreuz-Heimhelferin Silvia Kaden empfindet vor allem den steigenden Zeitdruck als am meisten belastend:

“Wo früher zwei Stunden Zeit war, ist es heute oft nur noch eine. In dieser Zeit muss ich Frühstück machen, den Klienten waschen und anziehen, die Wohnung aufräumen, danach alles genau dokumentieren und zum nächsten Klienten eilen. Die normale Dienstzeit reicht da oft nicht aus. Was bleibt also übrig? Man opfert seine Freizeit."

Weil auch die Pflegearbeit mittlerweile sehr spezialisiert ist, kümmern sich oft mehrere Berufsgruppen um einen Klienten: Heimhelferin, diplomierte Pflegekraft, praktischer Arzt oder Ergotherapeutin. Koordiniert werden diese Tätigkeiten beispielsweise von der Diplomkrankenschwester Iris Url, die dazu meint:

“Unvorhersehbares bildet nicht die Ausnahme, sondern die Regel im Pflegealltag und erfordert Managementfähigkeiten. Zusätzlicher Stress entsteht für Frauen mit Kinderbetreuungspflichten. Durch Abend- und Wochenenddienste sind die Arbeitszeiten längst nicht mehr familienfreundlich.“

"Arbeitsfähigkeit erhalten …“

"… für Individuen, Organisationen und Unternehmen“ - kurz AEIOU - lautet eine Initiative, die Teil des EU-Programms "EQUAL“ zur Bekämpfung von Diskriminierungen am Arbeitsmarkt ist. Sie hat das Ziel, die Zahl derer zu reduzieren, die infolge von Krankheit und Invalidität frühzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Das Wiener Rote Kreuz führt hier beispielsweise mit der Gemeinde Wien das Projekt der "Betrieblichen Gesundheitsförderung in der mobilen Pflege und Betreuung" durch. Fördergeber sind der "Europäische Sozialfonds" und der "Fonds Gesundes Österreich". Die dritte Ebene ist die Politik, deren Vorgaben ja wiederum den Handlungsspielraum für die Dienstleistungsbetriebe definieren. Ob diese neue Art der Zusammenarbeit so gut läuft, wie sie sich im Projektkonzept liest, kann allerdings erst zu Projektende im nächsten Jahr beurteilt werden.

Die Zielgruppen von morgen

Ob all diese Initiativen ausreichen werden, um die in der Pflege Tätigen zu halten oder neue zu gewinnen, wird die Zukunft weisen. Der neue Kollektivvertrag für das Pflegepersonal, der gerade ausgearbeitet wird, und die Imagekampage allein werden nicht genügen, betont Ulrike Schneider:

“Der Slogan 'Pflegeberufe. Der Job des Lebens’ hat möglicherweise kurz die Aufmerksamkeit arbeitssuchender Menschen auf sich gezogen. Doch den Pflegeberuf tatsächlich zu ergreifen, ist wieder etwas anderes. Vor allem junge Männer werden andere Vorstellungen von Cash und Karriere haben. Um eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen wird man daher nicht herumkommen. Denn langfristig gedacht produziert sich der soziale Sektor die Zielgruppen von morgen. Geringe Renten einerseits und psychologische und körperliche Verschleißerscheinungen bei den Arbeitenden werden die Situation jedenfalls nicht verbessern.“

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