Wer jetzt nicht ganz allein ist...
Den Schilling zurück!
"Ein Singleabend in einem Bierlokal kostet 50 Euro, behauptet der Kolumnist. Weil er gerade sonst nichts zu bejammern hat, bejammert er jetzt den Verlust des Schillings. Nostalgie ist eine Alterserscheinung. Der Kolumnist kann nicht so lange warten.
8. April 2017, 21:58
Werde ich senil? Ich habe weder Weltkrieg noch Weltkrieg erlebt, von der Weltwirtschaftskrise wurde in der Schule gesprochen wie von lindgrünen Dinosauriern. Ich habe nicht Heil! gebrüllt, ich habe mich nicht verspekuliert, ich bin nicht bei Scientology - mit mir ist alles in Ordnung!
Aber ich kann den Euro nicht so akzeptieren, wie er ist. Werde ich senil?
Wenn ich früher manchmal ausging, kostete mich der Abend 200 Schilling. Da waren Zigaretten und zwei Käsekrainer inkludiert, einer um neun Uhr, einer um ein Uhr. Die Zigaretten kosteten 27 Schilling, im Lokal 32. Ein kleines Bier kostete dort 20 Schilling, ein großes 30. Man trank - um Kosten zu sparen - großes Bier. Nur wer reich war, trank kleines Bier oder Pfiff.
Man verspachtelte beim Wurststand einen Käsekrainer, kaufte Zigaretten beim Automaten, trank im Lokal vier Bier und konnte sich dann locker noch einen Verdauungskäsekrainer leisten. Wenn man genau 200 Schilling bei sich hatte.
Wenn man 300 hatte, trank man sieben Bier. Bei 400 Schilling waren es zehn Bier, doch dann konnte man sich mit dem Restgeld auch zwei Verdauungskäsekrainer leisten. Bloß mit dem einen Päckchen Zigaretten kam man dann nicht aus. Doch das fiel einem nicht auf.
War man schon damals senil?
Mitnichten! Man schnorrte sich durch den Abend und durch die Nacht. Eine Zigarette herzuschenken tat niemandem weh. Manche gaben zwei. Eine davon verlor man immer, aber man hatte noch die andere. Nie mehr wieder sollte ich mich in dieser Welt so gut aufgehoben fühlen wie damals.
In der Schule lernten wir, dass es eine Weltwirtschaftskrise gegeben hat. Die Millionäre gingen ins Geschäft, um sich einen neuen Rolls-Royce zu besorgen, und der Verkäufer schob ein Kilo Mehl über den Ladentisch. Das ist heute dasselbe. Wenn ich heute jemanden um eine Zigarette bitte, verlangt der Jemand Geld von mir.
Das wahre Motiv für Nostalgie: Damals war alles billiger. Ich kann mich da nicht länger ausnehmen. Es ist ein authentisches Gefühl, es ist authentische Trauer um jene Zeiten, als man für sein Geld noch etwas bekam. Meine Enkelkinder werden lernen, dass es eine Weltwirtschaftskrise gegeben hat, den Lieben Augustin und die Einführung des Euro.
Wenn ich heute ausgehe, hebe ich vorher einen Hunderter ab, und wenn am Ende mehr als fünfzig übrig sind, muss mich jemand eingeladen haben. Dieser jemand wird das Geld bald zurückverlangen.
Gewiss, heute vertrage ich mehr und darf länger aus bleiben. Gewiss, auch meine Eltern mussten empfindliche Preiserhöhungen miterleben. Gewiss, auch sie haben nicht Heil! gebrüllt, auch sie finden Scientology blöd, und für groß Spekulieren waren sie zu irgendwas.
Aber muss ich deshalb etwas akzeptieren wie es ist, wenn es noch blöder ist als Scientology? Da könnt ihr beschönigen wie ihr wollt, kommt mir mit Inflation und allgemeiner Wirtschaftslage, kommt mir mit all dem Tand! Tand kann mich kreuzweise, ich will den Schilling zurück! Ich will für einen Käsekrainer nicht 3 Euro 20 hinklimpern, ich will dafür gute, alte 25 Schilling bezahlen, einen Schein und eine Münze.
Nicht drin? Dann jedenfalls das: Ich will geschnorrte Zigaretten nicht bezahlen!
Senil.
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