Warum nicht ich?

Der Jelinek-Effekt

Natürlich freuten sie alle, als Elfriede Jelinek den Literatur-Nobelpreis zuerkannt bekam. Wirklich alle? Ein paar unbesiegbare heimische Literaten, jeder für sich ein Einzelkämpfer, hatten daran schwer zu knabbern.

Christoph Ransmayr

"Zwei Tote lagen schwarz im Januar Brasiliens" - Mein Gott, wie lang hab ich an dem Satz gewürgt. Monate. Jahre. Immer noch nicht perfekt. Grässlich. Schon das erste Wort: Zwei. Warum zwei? Warum nicht drei, fünf, sieben? Sieben wäre besser gewesen. Magische Zahl. Oder dreizehn, Pi, Fibonacci, Euler! ... Blödsinn! Pi ist Blödsinn. Wie können Drei-Komma-Eins-Vier-Eins-wasweißich... Tote! Schwachsinn. Mathe bringt nicht weiter ... Und doch, zwei war eine schlechte Wahl. Das "ei" in zwei zu österreichisch, zu provinziell für einen großen Preis. Großer Preis! Sieben! Sieben wäre besser! Langes "i" hundertmal besser als fades "ei". In Zukunft nur noch langes "i", absolutes "ei"-Verbot. So weit es geht. So lang es geht, mein ich. Sag ich ... Hilft nichts, muss langsamer werden. Länger feilen. Feilen? Nicht feilen, genauer arbeiten. Nicht arbeiten. Setzen. Bücher nur noch im Muster der Fibonacci-Zahlen. Aber schon hoch einsteigen. Äh, beginnen. Bei 34, nächste 55, das bringt 21 Jahre zum Feilen! Verdammt! Setzen! ... Dann kommt 89, bringt 34 Jahre zum Tüfteln ... Ersten 34 Seiten... Blätter nur langes "i"!

Michael Köhlmeier

Da erzählt man, was es nur zu erzählen gibt. Die ganzen Schwarten rauf und runter, runter und rauf, kreuz und quer, quer ums Kreuz, Kreuz und Gewehr, haha - lässt nichts aus, Homer, Bibel, Karl May - zu wenig, alles zu wenig. Den ganzen Shakespeare, den ganzen Goethe. Von mir aus auch den ganzen Schiller, obwohl, uff, Schiller, alter Moralist, mühselig, Plackerei ... Thomas Mann, wenn man mich fragt, gern, Mann okay, Der Mann, der schreibt, haha ... Aber was ist, wenn sie Joyce verlangen?! Nie leiden können, alter Besserwisser, widert mich an ... Was, wenn als nächstes die Jelinek verlangt wird? Alle Romane, alle Stücke, Köhlmeier erzählt's auf zwei CDs. Schrecklicher Gedanke. Nichts gelesen von ihr ... Gut, bei den anderen auch nicht... alles. Aber bei der Jelinek fällt's auf!

Robert Menasse

Die und nicht ich. Ich nicht. Wundert dich das? Wundert dich das wirklich? Nein ... Nein, alles andere würde unserer gelebten Wirklichkeit widersprechen. Das Geistige ist allein das Wirkliche. Diese Vulgär-Materialistin hat doch keine Ahnung von Hegel. Keine! Das sind doch nur Bernhardsche Milchmädchen-Rechnungen. Der reinste Holzhammer. Aber das Grobe gefällt. Das Banale haut um. Das Simple tut's auch ... Muss einfacher werden. Keine Dialektik. Hegel weg! ... Hegel auch? ... Weg! ... Was die in ihrem Einfamilienhäuschen mit der ganzen Kohle anfängt? ... Was würd' ich nicht alles ... Eine Sitzplatzkarte auf Lebenszeit bei den Königlichen im Bernabeu-Stadion. Real! VIP-Sektor, bei den Königlichen...

Gerhard Roth

"Archive des Schweigens", Zyklus von sieben Bänden, Mammutwerk! Und sie! Kein einziger Zyklus. "Die Kinder der Toten", pah! Schlag ich mit dem "Landläufigen Tod". Und der ist nur einer von sieben! Alle sieben, da kann die Kindertoten drin vergraben ... War dumm von mir, mit "Orkus" einen neuen Zyklus zu beginnen. Hätte einfach alle weiteren Bücher zu den "Archiven" packen sollen. "Archive des Schweigens" passt eh für alles. Schweigen, mein Österreich-Befund. Der Geistesarzt Österreichs ... Aber nicht der Arzt kriegt den Preis, sondern die Salon-Kommunistin ... Von jetzt an nur noch einen Zyklus. Ein ewiger Zyklus! Das neue Mammutwerk ... Mammut? Passt das noch? ... Mammut ist zu klein! Größeres, was ist größer? Nachschauen, schnell! Wozu eine Mammut-Bibliothek angeschafft! ... Blauwal! Größtes je existierendes Säugetier ... Der Größte aller Zeiten! ... Gerhard Roths "Blauwal", ein nicht endender Romanzyklus ... ja!

Friederike Mayröcker

Bin's ihr ja vergönnt. Tüchtig und narrisch, wie ich. Muss ich nicht nach Stockholm, bin ja nicht der Artmann ... Wo war der seinerzeit? Irgendwo da oben ... Wäre vor der Überreichung beim Friseur gestorben. Lakonisches Ende ... Wie viele schon beim Friseur gestorben sind, an Halsbrüchen, Nackenstarre, Rasiermesserschnitten? ... Ärgerlich nur, dass alle Literaturjournalisten mich Elfriede Mayröcker nennen. Und keinem fällt's auf! Friederike sagt niemand zu mir. Die, die's gut meinen, Fritzi. Die Fritzi! ... Zur Jelinek sagt niemand Fritzi! Aber ich bin die Elfriede Mayröcker! Dem nächsten, der mich so nennt, komm' ich mit einem Rasiermesser.