Musik aus den bulgarischen Bergen
Vom steifen Korsett zur musikalischen Vielfalt
In den bulgarischen Bergen finden sich nicht nur Lieder von Hirten und Bauern in authentischen Popularisierungen beliebter Volksmusik-Stars. Gerade in den letzten Jahren hat sich das starre Musik-Korsett der ehemaligen Diktatur in musikalische Vielfalt verwandelt.
8. April 2017, 21:58
"Mein Bulgarien": CD-Ausschnitt mit der Gruppe "Balkanrose"
Das unbekannte Bulgarien kann als ein musikalisches Reservoir Europas gelten. Von dort kommen Künstler, die das Musikleben des Kontinents bereichern. Der Schatz, den sie - mehr oder weniger tief im Gepäck verstaut - mit sich führen, sind die Instrumente, die Klangfarben und vielfältigen Rhythmen der bulgarischen Volksmusiken: Die allerdings sind im Plural zu denken in diesem Land, das vier große ethnische Gruppen beherbergt und in mehrere große Täler und Gebirgszüge "zerfällt, mit je eigenen musikalischen und Tanz-Traditionen. Ihr Reichtum dringt nur gelegentlich ins Bewusstsein einer (westlichen) Öffentlichkeit - etwa, als Ende der 80er Jahre das "Wunder der bulgarischen Stimmen bekannt wurde und bulgarische Frauenchöre weltweit auf Tournee gingen.
Die Bewahrung des "Reinen"
Die Volksmusik aus Thrakien und den Rhodopen, aus dem Pirin- oder dem Balkan-Gebirge wurde auch zu kommunistischer Zeit gepflegt. Staatlich unterstützte Folklore-Gruppen traten bei Festivals auf, ihre Platten wurden vom staatlichen Rundfunk produziert. Komponisten arrangierten traditionelle Lieder für größere Ensembles um - und das oft gar nicht geschmacklos.
In anderer Hinsicht steckte damals die traditionelle Musik in einem steifen Korsett: denn als förderungswürdig galt nur "bulgarische Musik - die der Türken, der Pomaken (Bulgarisch sprachiger Muslims) und der Roma wurde zunehmend ausgeschlossen.
Nationaler Wahn
Vor allem in der kommunistischen Spätphase flüchtete das wirtschaftlich und sozial gescheiterte Regime in einen militanten Nationalismus. Die Existenz der ethnischen Minderheiten wurde offiziell geleugnet. Der Höhepunkt war im Dezember 1984 erreicht: ein Dekret zwang hunderttausende Türken, christliche (bulgarische) Namen anzunehmen. Türkische Kleidung oder der Besuch der Moscheen wurde verboten. Die Proteste dagegen und ihre Niederschlagung forderten mehr als einhundert Menschenleben. Im Sommer 1989 verließen hunderttausende Türken Bulgarien. Dieser Exodus löste den Sturz des Diktators Zhivkov mit aus.
Die Könige der Hochzeiten
Was die Musik anlangt, zählten in dieser Zeit viele Roma zu den beliebtesten Interpreten auch bulgarischer Volksmusik. Sie engagierte man bevorzugt für Hochzeiten oder andere Feierlichkeiten. Eigene Inspektoren achteten aber unter Androhung strenger Geldstrafen darauf, dass sie nicht allzu "zigeunerhaft aufspielten, erinnert sich der Akkordeonist Martin Lubenov. Gerade das wurde aber vom Publikum besonders geschätzt und mit Trinkgeldern belohnt.
Von der Improvisation über volkstümliche Weisen war und ist es nicht weit zum Jazz: Der "König der Hochzeiten, Ivo Papasov, überschritt diese Grenze ebenso wie der Roma-Musiker Martin Lubenov. Auch das Spiel des Jazzvirtuosen Theodosii Spassov auf der Hirtenflöte Kaval beruht auf Klängen und Motiven aus der Volksmusik. Doch unter dem Einfluss von Sarah Vaughan, Wayne Shorter, Miles Davis und Charlie Parker revolutionierte Spassov den Klang der Flöte, die bei ihm wie ein Saxofon, eine Klarinette oder eine Schalmei klingen kann.
Überleben in der Diaspora
Nach dem Fall des Kommunismus durften die Ethno-Jazz-Musiker endlich, wie sie wollten - künstlerisch. Doch ihre einzige wirtschaftliche Chance sahen und sehen viele Musiker in der Auswanderung. Bulgarier und Bulgarinnen findet man heute als Sänger/innen, als Studio- oder Orchestermusiker/innen in den Niederlanden, in Deutschland oder in den USA - aber natürlich auch mit eigenen Projekten und Gruppen, in denen sie Musik ihrer Heimat einbringen und weiter entwickeln.
Die "Wiener Bulgaren"
Martin Lubenov zum Beispiel wohnt und arbeitet heute in Wien, die Musiker seines Balkan-Jazz-Quartetts "Orfej leben in Berlin, New York und Graz. Seine aktuelle CD "Dui Droma / Two Roads mit bulgarischer Roma-Musik nahm Lubenov allerdings wieder in Sofia auf.
In Wien leben auch die Mitglieder der Musiker- und Theatergruppe "Balkanrose, die ihre Jugend in Bulgarien in dem Musiktheaterstück "Mein Bulgarien! Unser Balkan! Deren Diktatur! Eure Tschuschen! verarbeiten.
Die bulgarische Musikszene hat sich jedenfalls seit dem Ende der Diktatur von ihren starren Formen gelöst und sich im In- wie im Ausland in eine bunte Vielfalt verwandelt.