Familien-Verhältnisse
Geisterglaube, karibisch
Geister existieren überall auf der Welt. In manchen Weltgegenden aber tummeln sich mehr Geister, als den Menschen lieb ist. In der Karibik - und da besonders in Haiti - sprechen Eingeweihte von einem Geist-Mensch-Verhältnis, das deutlich zu Gunsten der Geister spricht.
8. April 2017, 21:58
Vier Geist-Familien bevölkern Haiti. Drei davon gelten als eher sanft und umgänglich und leiten ihren Ursprung aus Afrika her. Sie haben die Sklaven in die Neue Welt begleitet: aus dem alten Dahomey (dem heutigen Benin) stammen die "guten" Loas der Rada-Dynastie, aus dem Kongo-Gebiet und dem Tal des Benue (im östlichen Nigeria) haben sich die Geister der Kongo- und Ibo-Sippe in die Neue Welt transferiert. Die Angehörigen der beiden letztgenannten Familien sind charaktermäßig gesehen schon etwas schwieriger, nicht mehr wirklich freundlich, sondern wankelmütig und manchmal sogar boshaft.
Gefürchtete Petro-Loas
Die größte und gefürchtetste Geister-Dynastie der Karibik ist die der Petro-Loas. Als "indigene Geister" wurden sie von den ursprünglichen Bewohnern der Karibik, den Tainos und Kariben, verehrt, die allesamt - bis auf ein paar hundert auf der Insel Dominica - ausgerottet wurden. Kein Wunder, dass die Petro-Loas hart, aggressiv und "bitter" auftreten, und als zornige Krieger zu idealen Verbündeten der aufrührerischen Sklaven wurden, die ohne ihre Hilfe keinen noch so kleinen Aufstand gewonnen hätten.
Glauben Sie bitte nicht, dass es genügt, Haiti zu meiden, wenn Sie keinem karibischen Geist begegnen wollen! Sie sind überall, wo Tainos, Kariben und Sklaven gelebt haben, und auf jeder Insel, in jedem Landstrich erledigen sie ihre üblichen Geisterpflichten stets gewissenhaft und quälen, peinigen, helfen, heilen und heulen - je nach "Berufsethos".
Marcus Aurelius und der transatlantische Baakoo
Der Baakoo, vor dem Marcus Aurelius Roopsingh unglaubliche Angst hat, gehört zur Berufsgruppe der Baka und ist ein Bastard-Geist. Er hat afrikanische Wurzeln (in Zaire fürchtet man die Bakali, die unzufriedenen Schatten der Verstorbenen) und eine arabische Erziehung (er weiß, wie ein Geist sich korrekt zu benehmen hat, wenn er aus einer Flasche befreit wird). Seine berufliche Existenz dürfte er einem Bokor, einem karibischen Schadenszauberer, verdanken. Ein Bokor bindet kleine eklige Monster oder beschäftigungslose, gierige Polter-Dämonen durch Bestechung an sich, indem er ihnen entsprechende Gaben anbietet. Wenn die dann verführt zugreifen, gelten sie als "eingekauft" und sind ab sofort Baka, Schadensgeister. Meist werden sie als übernatürliche Auftragskiller eingesetzt.
Als Marcus Aurelius die Flasche mit dem Baakoo - so heißen die Baka in Guyana - aus dem nachbarlichen Besitz vor seiner Haustür fand, hat er die Nerven verloren, obwohl ihm sein Verstand sagen hätte müssen: HALT! Keine Panik!! Ein Baakoo, der, wie die Nachbarn sagen, seit Generationen in einer Flasche vegetiert, ist "gezähmt". Seine ursprüngliche Aufgabe kann sich nicht auf dich beziehen!!! Aber Marcus Aurelius zitterte so sehr, dass er die Flasche fallen lässt. Die nachfolgenden Erscheinungen deutete er infolgedessen falsch: Der Baakoo wollte ihm nichts Böses, sondern bloß den üblichen Ehrenlohn für seine Befreiung ableisten: Hausarbeiten verrichten, Wünsche erfüllen etc.
Sollten Sie also bei Ihrem nächsten Karibik-Urlaub, egal wo, eine rätselhafte leere Flasche finden und zerbrechen: keine Panik! Denken Sie daran: befreite Flaschengeister sind üblicherweise dankbar.
Buch-Tipps:
"Karibische Erkundungen", Verlag Volk & Welt, ISBN 3353010424 (1996)
Andras Gößling, "Voodoo. Götter, Zauber, Rituale", Knaur-TB, ISBN 3426777339
Maya Deren, "Der Tanz des Himmels mit der Erde. Die Götter des haitianischen Vaudou", Promedia Verlag, ISBN 3900478503