Macht korrumpiert

Einsetzung eines Königs

Wie die Person Arnold Zweig als kommunistischer Zionist in Palästina und als zionistischer Kommunist in der DDR nicht recht beheimatet war, so hatten auch seine Werke lange Zeit keinen Platz in der Literaturlandschaft. Dem versucht der Aufbau Verlag nun abzuhelfen.

In der alten DDR wurde Arnold Zweig zwar als Staatsschriftsteller gefeiert, seine Bücher allerdings, obgleich Schullektüre, unterlagen immer wieder strikten Zensureingriffen. Im übrigen deutschen Sprachgebiet waren seine Bücher so gut wie unbekannt, und Zweig selbst wurde zumeist mit seinem Namensvetter, Stefan Zweig, verwechselt.

Karriere im Ersten Weltkrieg

Der Held des Romans, Paul Winfried, wird auf Veranlassung seines Onkels, des Generals Lychow, während des Ersten Weltkriegs der deutschen Militärverwaltung Litauens zugeteilt, während Lychow die militärischen Aktionen der Deutschen in der Ukraine anführt. Zunächst ist Winfried begeistert von den Generälen und Befehlshabern, von der Welt der Mächtigen, in der er nun in Wilna verkehrt. Doch angeregt durch seine Verlobte Bärbe ergreift er in der Auseinandersetzung um den neuen litauischen König gegen die militärische Führungsschicht die Partei des schwäbischen Kandidaten, den die litauischen Anführer bevorzugen.

Der Ungehorsam, den er sich dadurch zu Schulde kommen lässt, gibt einem ihm übel wollenden Oberen Gelegenheit, Winfried für einige Tage als Verdächtigen in ein Arbeitslager zu stecken. In diesem Lager erlebt er die unmenschliche Behandlung vor allem auch der jüdischen Bevölkerung durch die angeblich korrekten Deutschen mit, ein Erlebnis, über das er erst nach langen Wochen des Schweigens reden kann:

Das Entsetzliche war: Unterhalb der geordneten deutschen Wirklichkeit, dieser Dienstwelt mit strengen Rechtlichkeitsbegriffen und altpreußischen Soldatenordnungen, tat sich ihm eine Kellerwelt auf von Ungesetzlichkeit, Rohheit, willkürlicher Ausbeutung der Schwachen, voll höhnischer Gewalttat, die ihren Spaß und Spott mit Wehrlosen trieb und die Rechtlosigkeit gefangener Menschen genoss wie Schnaps. (...) Und ebenso schlimm wie dies schien ihm, dass eine Minderheit von Lümmeln und Lumpen dies Regiment aufführen konnte, ohne dass die Mehrheit der Anständigen - auch in diesem Lager eine Mehrheit - anders zu protestieren wagte als durch wegsehen.

Abwendung von der herrschenden Schicht

Während Winfrieds Gefangenschaft wird sein Onkel in Kiew ermordet und seine Verlobte Bärbe erkrankt an der 1918 in ganz Europa grassierenden Spanischen Grippe. Von Winfried im vierten Monat schwanger, stirbt sie in dem Moment, da er endlich aus dem Lager entlassen zu ihr ans Krankenbett eilt. Nach diesen Rückschlägen wendet er sich endgültig von der herrschenden militärischen Schicht ab, die um größenwahnsinniger Landerwerbungen willen menschenverachtend einen Friedensschluss ablehnt.

Vorbereitung des deutschen Faschismus

Der Erste Weltkrieg war das Hauptthema in Zweigs literarischem Schaffen, den er in dem sechsbändigen Zyklus "Der große Krieg der weißen Männer" einzufangen versuchte. Die "Einsetzung eines Königs" ist der letzte Teil dieses Zyklus', "Der Streit um den Sergeanten Grischa" sein berühmtester, und das erste große Antikriegsbuch nach dem Ersten Weltkrieg in deutscher Sprache.

Beide Romane sind in den 20er Jahren entworfen worden. Die Niederschrift der "Einsetzung eines Königs" erfolgte allerdings erst im palästinensischen Exil 1935-37, wo der Roman unter dem Eindruck der Naziherrschaft völlig umgearbeitet wurde. Statt der Abdankung der alten wilhelminischen Herrenklasse sollte nun gezeigt werden, wie jener landeshungrige Militarismus der alten Herrenschicht den deutschen Faschismus vorbereitet, wie ihre Behandlung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten, im Speziellen der Juden, den Samen für die Taten der Nazis legte.

Die menschlichen Seiten der Mächtigen

Der Humanist Zweig gebraucht die freundliche Naivität Winfrieds als Vehikel, um auch die menschlichen Seiten der Mächtigen zu zeigen. Allerdings scheint auch Winfried durch seine Beförderung zum Hauptmann und die damit verbundene Nähe zur Macht korrumpierbar geworden zu sein:

Jetzt ging es um die großen Einheiten: um Völker und Klassen, Hunderttausende und Millionen verbundener Menschen, ihre Körper wurden unbedeutend, ihre Leben; Gewicht behielt nur ihre Summe, die Masse, zusammengehalten von Abstammung, Erdboden, Sitte und Macht.

Die Wandlung

Wie Winfried gleichwohl von seinen Sympathien mit den Mächtigen zur Einsicht in deren Skrupellosigkeit gegenüber dem Volk gebracht wird, beschreibt dieser Bildungsroman, der auf Zweigs eigener Wandlung vom überzeugten Nationalisten am Anfang des Ersten Weltkriegs zum Pazifisten nach seinen Erlebnissen als Soldat in Verdun und Wilna aufbaut.

Selbst wenn Zweigs Roman ästhetisch nicht völlig zu überzeugen vermag, seine kraftvolle Sprache nicht durchgehalten wird, so ist dieser flüssig zu lesende realistische Roman zumindest als kulturhistorisches Werk von großem Interesse. Es ist hier eine politische Erzählung eines großen Humanisten wieder zu entdecken, die sich mit dem Problem der Herrschaft und der Behandlung der Juden in einer Zeit beschäftigt, die im allgemeinen Bewusstsein durch den Zweiten Weltkrieg in den Hintergrund gedrängt wurde.

Buch-Tipp
Arnold Zweig, "Einsetzung eines Königs", Aufbau Verlag, ISBN: 3351034067