Die KGB-Agententätigkeit der deutschen "Staatsschauspielerin"

Die Akte Olga Tschechowa

Ist man nur dann ein Spion, wenn man die Weitergabe von Geheimnissen betreibt? Oder genügt es schon, als prominente Person Bekanntschaften zu vermitteln? Antony Beevor beantwortet in seinem Buch diese Fragen nicht - Geschichte ist seine Stärke.

In der Nacht vom 8. zum 9. Mai ging in den Wohnungen der sowjetischen Hauptstadt Moskau das Licht nicht aus. Die Menschen warteten ungeduldig auf die erlösende Nachricht von der Kapitulation Deutschlands. Aber nur privilegierte Angehörige der sowjetischen Elite, wie der Schriftsteller Ilja Ehrenburg besaßen ein Radio, mit dem man ausländische Sender empfangen konnte. Und nicht jeder brachte den Mut auf, es einzuschalten. In Stalins Russland hatte man auch nach dem Sieg die Geheimpolizei zu fürchten.

Mit diesen dramatischen Stunden sowjetischer Geschichte beginnt Antony Beevors Buch "Die Akte Olga Tschechowa", wobei man sich eher vorstellen kann, dass es in den Moskauer Wohnungen zu Kriegsende längst kein Licht mehr gab. Um zehn Minuten nach eins kam die ersehnte Nachricht, die Menschen feierten in den Straßen mit dem letzten, für diesen Augenblick aufgesparten Sekt oder Wodka das Ende des Krieges.

Legendäre Olga Knipper-Tschechowa

Mit dabei war Olga Knipper-Tschechowa, Gründungsmitglied des legendär gewordenen Moskauer Künstlertheaters, die Witwe Anton Tschechows, die Tante der Olga Tschechowa, die zu dieser Zeit längst in Berlin lebte.

Olga Knipper-Tschechowa musste den Zweiten Weltkrieg - trotz ihrer Prominenz und der Auszeichnung als "Volkskünstlerin der Sowjetunion" - unter ständiger Gefährdung durch Stalins Geheimdienst verbringen - war sie doch deutschstämmig und mehrere Mitglieder ihrer Familie waren ins feindliche Ausland gegangen.

Weit verzweigter Tschechow-Clan

Unter diesen war auch ihre Nichte Olga Tschechowa, die in Deutschland als Film- und Bühnenstar Karriere machte und Spionage für die Sowjetunion betrieben haben soll. Olga war nicht nur eine Nichte der Witwe Tschechows, sondern auch in erster Ehe mit Michail, einem Neffen Anton Tschechows, verheiratet, mit dem sie eine Tochter namens Ada hatte.

Die Geschichte der weit verzweigten Tschechow-Familie ist an sich kompliziert. Antony Beevor versucht auch, möglichst die Geschichte der gesamten Familie zu erzählen: der zahlreichen Knippers und Tschechows, oft mehrmals verheiratet oder liiert. Da der geschichtliche Hintergrund nicht als bekannt vorausgesetzt werden kann, war es richtig, auch darauf einzugehen, aber Beevor geht in der Materialfülle unter.

Olga macht Karriere

Olga Tschechowa hatte bald nach ihrer abenteuerlichen und nicht ganz geklärten Ausreise aus der Sowjetunion während der Oktober-Revolution in Berlin beim Stummfilm eine Chance erhalten. Sie war ehrgeizig, eignete sich die deutsche Sprache so perfekt an, dass sie auch im Tonfilm und später am Theater ein Star wurde. Sie gründete eine eigene Produktionsfirma und holte nach jahrelangen Kämpfen ihre Mutter und Tochter Ada aus der Sowjetunion zu sich.

In Berlin ging es mit Olgas Karriere inzwischen steil bergauf. Sie musste aber auch bis zur Erschöpfung arbeiten. Deutschland steckte in einer tiefen Wirtschaftskrise und seine Menschen hatten es bitter nötig, die Sorgen der Gegenwart und das Trauma der Niederlage des Ersten Weltkriegs zu vergessen. In den Babelsberger Studios wurde auf Hochtouren gedreht. Bald aber sank die Produktion auf die Hälfte herab, weil die Inflation das Geld entwertete.

Rätsel der Vergangenheit

Tschechowas Kontakte zu Hitler und der Naziprominenz dürften nicht so eng gewesen sein, wie man in der Sowjetunion zu glauben schien. Wenige Tage nach Ende des Krieges wurde sie mit einem Sonderflugzeug nach Moskau gebracht. Was dort geschah, ist nicht bekannt, sie kam aber nach einigen Wochen zurück und richtete sich mit zahlreichen Verwandten und Freunden in der sowjetischen Besatzungszone Berlins gut ein.

Olga Tschechowa hat 1952 ihre Lebenserinnerungen unter dem bezeichnenden Titel "Ich verschweige nichts" veröffentlicht; sie war damals 55 Jahre alt. Dass Antony Beevor einer solchen Autobiografie misstraut und eine Reihe von Ungereimtheiten aufdecken kann, liegt auf der Hand. Aber es wäre trotzdem spannend gewesen, mehr aus dieser oder anderen persönlichen Quellen zu erfahren, denn die Tschechowa muss eine beachtliche und gefährliche Gratwanderung zwischen den beiden Diktaturen einigermaßen erfolgreich absolviert haben. Sich diese vorzustellen, bleibt aber der Phantasie des Lesers überlassen.

Buch-Tipp
Antony Beevor, "Die Akte Olga Tschechowa", ins Deutsche übersetzt von Helmut Ettinger, Bertelsmann Verlag, ISBN 3570008266