Die tägliche Kolumne von Eugen Freund

05. Telefondienst

Der langjährige ORF-Korrespondent in Washington ist knapp vor der Entscheidung über den nächsten Präsidenten in die USA zurückgekehrt, um über den Wahlkampf zu berichten. Für oe1.ORF.at hält er in persönlich gefärbten Berichten seine Beobachtungen fest.

Meine Gastgeberin ist am Telefon: es ist Abend und sie - nein, sie tauscht nicht Kochrezepte mit der Freundin um die Ecke aus (kochen gehört hier sowie so nicht zur Tagesordnung). Sie hat eine Telefonliste aus mehreren Bundesstaaten, in denen das Rennen um die Präsidentschaft besonders knapp ist.

Vor vier Jahren zum Beispiel hatte der damalige demokratische Kandidat Al Gore in New Mexiko einen Vorsprung von nur 366 Stimmen, und auch diesmal gehört dieser südliche Bundestaat zu den heiß umkämpften. Genauso wie Wisconsin und Nevada.

Jetzt geht es darum, die Freiwilligen zu finden und zu motivieren, in den nächsten Tagen Wahlhilfe für - in diesem Fall - John Kerry zu leisten. Am Telefon klingt das dann etwa so: "Kann ich mit Herrn oder Frau Soundso sprechen ? - Ich heiße Mrs. ABC und gehöre zum Kerry-Edwards-Team. Wir suchen noch Freiwillige, die am Wochenende von Haus zu Haus gehen, um Wähler zu motivieren, für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten zu stimmen. Dass wir die Menschen persönlich ansprechen, ist gerade in ihrem Bundesstaat äußerst wichtig."

Wenn sie dann Ja sagen, wird ihnen mitgeteilt, in welcher Gegend und zu welcher Uhrzeit sie sich einfinden sollen - sie dürfen auch (so heißt es in der der Vorlage, von der meine "Telefonistin" runterliest), eine Bekannte oder einen Bekannten mitnehmen - nicht jeder geht schließlich gerne zu Fremden, noch dazu allein. Es gibt aber auch Instruktionen, wenn der oder die auf der anderen Seite der Leitung 'Nein' sagt.

"Schade - Möchten Sie vielleicht in anderer Form tätig werden?" Wenn es dann immer noch keine Zustimmung gibt, bedankt man sich und beendet die Konversation mit dem Hinweis, noch weitere Telefongespräche führen zu müssen.

Und wie ist der heutige Abend verlaufen ? Ganz gut, erzählt die Gastgeberin, einige haben spontan erklärt mitzumachen, anderer wiederum waren ohnehin schon vorbereitet darauf, das Wochenende damit zu verbringen, Wähler zu keilen, einige haben sich interessiert gezeigt, selbst zum Telefon zu greifen und Freiwillige anzurufen, um so zu einem Multiplikatoreffekt beizutragen. Nur eine Dame war ablehnend: "Ich kann leider nicht von Haus-zu-Haus-Gehen, ich sitze im Rollstuhl..."

Die Telefongebühren zahlt übrigens jeder dieser Kerry-Team-Mitglieder selbst - das ist es ihnen wert, nur um das große Ziel zu erreichen. Aber damit kein Missverständnis entsteht: die Bush-Freunde arbeiten genauso eifrig.

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