Nichts ist mehr dasselbe
Alte Freunde
Rafael Chirbes entwirft das gesellschaftskritische Psychogramm einer Gruppe ehemals engagierter Kommunisten, die gegen die Diktatur Francos kämpften. Von den Werten, dem Idealismus und dem Veränderungsdrang von damals ist nichts mehr übrig geblieben.
8. April 2017, 21:58
Ich, als ich jung war, an der Uni, ich habe mich immer in Schwierigkeiten begeben, habe mehr Zeit an der Theke und bei den Versammlungen der Zelle verbracht als zu Haus, habe alles probiert, wir sind spät nachts ins Bett und haben uns all diesen Scheiß in den Körper gesteckt, schlecht gegessen, schlecht getrunken, schlecht gekleidet. Wir waren Rebellen, ernährten uns von Luft, wahrscheinlich weil wir auch nur Luft verkauften, wie Carlos' Vater sagte.
Sieben Freunde
Carlos ist einer der sieben Protagonisten von Rafael Chirbes Buch "Alte Freunde". Er ist Schriftsteller, Lebemann und gescheitert. In den Zeiten des kommunistischen Widerstands war er der Unzuverlässige. Seine einzige aktive Revolutions-Tätigkeit bestand darin, Bücher zu schreiben, die nie wirklich relevant waren. Pedrito hingegen, das zweite Alphamännchen der Gruppe, ist heute erfolgreicher Bauunternehmer. Gegen seine ehemaligen roten Freunde muss er sich vehement zur Wehr setzen. Geld verdienen schickt sich auch heute in diesen Kreisen nicht. Guzman hat reich geheiratet.
Amalia ist geschieden und kämpft seit jenen Tagen mit ihrem Schicksal. Taboada ist Anwalt und zählt zum politischen Establishment. Der AIDS-kranke Demetrio hingegen hat in seiner Jugend keine Exzesse ausgelassen und pflegt gerade seinen todkranken Freund. Sie alle treffen sich nach vielen Jahren in einem Haubenlokal in Madrid wieder. Eine illustre Truppe, deren Lebensläufe, wie "Die Zeit" konstatiert, "eine ausgeprägte Neigung zum Archetypischen haben".
Spanien nach dem Bürgerkrieg
Der dritte Teil von Rafael Chirbes' Trilogie über Spanien nach dem Bürgerkrieg handelt davon, dass dem gegenwärtigen politischen System die Gegner abhanden gekommen sind. Widerstand kommt einzig, wie Chirbes es ausdrückt, von einer nebulösen Bewegung, die sich Islamismus nennt.
"Der Islamismus schließlich bedeutet die Rückkehr der Religion, von der der Westen sich eigentlich schon befreit geglaubt hat", sagt Chirbes. "Die Vernunftlosigkeit. Wenn jemand sich selbst umbringt und glaubt, dass er in den Himmel kommt, dann gibt es keine Vernunft, die sich dem irgendwie widersetzen kann."
Abbild einer Generation
In langen, verschachtelten Sätzen liefert Chirbes das Abbild einer Generation, die, zunächst angestachelt vom Glauben an eine bessere Welt, einem diktatorischen Regime Molotow-Cocktails entgegen wirft. Die Forderungen der damaligen kommunistischen Bewegung waren klar definiert. Dennoch sind sie im Laufe ihrer Entwicklung irgendwo im Sumpf von Unwissenheit und Ignorantentum verloren gegangen. Die "alten Freunde" rätseln, wie so etwas passieren konnte. War die Unfähigkeit der Einzelnen für das Schicksal eines gesamten Volkes verantwortlich, oder hat der rasant hereinbrechende Kapitalismus den einstigen Bestrebungen den Garaus gemacht? Zurück bleibt der fahle Geschmack eines tristen Alltags, in dem nicht einmal mehr die "alten Freunde" einander eine Stütze sind.
Später sind wir uns wieder näher gekommen, aber nichts ist mehr dasselbe gewesen. Jetzt sehe ich sie lachen und mit Pedrito reden, und ich habe Lust, Narciso anzurufen und ihm zu sagen: "Erinnerst du dich daran, wie wir die Welt verändern wollten? Wir haben nicht einmal verhindern können, dass Amalia Schaden nimmt." Ihm sagen: "Wie kannst du weiter Versammlungen leiten und den Leuten erzählen, du hättest den Schlüssel zur Speisekammer des Glücks?"
Buch-Tipps
Rafael Chirbes, "Alte Freunde", Deutsch von Dagmar Ploetz, Kunstmann Verlag, ISBN: 3888973635