Peter Esterházy hat Recht

Heiße Luft im kalten Frankfurt

Wer noch nie auf der Frankfurter Buchmesse war, hat nichts versäumt. Wer trotzdem hinfährt, erfährt wenig über Literatur, dafür aber sehr viel über jene, die von der Kreativität anderer leben, hat Peter Zimmermann in den letzten Tage erfahren.

Ich will ganz ehrlich sein: Ich schreibe seit 15 Jahren über Bücher und bin noch nie auf der Frankfurter Buchmesse gewesen. Ich bin immer wieder mal gefragt worden, aber allein das Wort "Messe" hat mich weit in den dunklen Raum der Erinnerung zurückgeworfen. Ich bin nicht gläubig. Ich glaube nicht an einen Gott und auch nicht an den Segen des frei fließenden Kapitals.

Ich bin als Kind dazu gedrängt worden, jedes Jahr die Klagenfurter Holzmesse zu besuchen. Doch erstens habe ich dort ständig meine Eltern verloren, zweitens wusste ich die Ansammlung von massiven Baumaschinen, Saunahütten und Imprägniermitteln nicht in unser heimwerkerfeindliches Familienleben zu integrieren. Und drittens sind die einzigen klaren Bilder, die meine Erinnerung an die Küsten meines Bewusstseins schwemmt - lassen Sie mich in meiner post-Frankfurt-Depression pathetisch sein! - jene von der geistlosen Geisterbahn im Luna Park und des mittäglichen Champignonschnitzels mit anschließendem Indianerkrapfen.

Jetzt war ich aber doch in Frankfurt. Ich habe mich breitschlagen lassen, habe mir gedacht: Die Kindheit ist gegessen, die Neurosen sind im Griff. Aber dann. Du lässt dich hineinsaugen in dieses absurd weitläufige Areal, in dem Tausende Menschen den verbrauchten Atem Tausender Menschen in sich aufnehmen. Du gerätst unter Bücher und beginnst dich nach Büchern zu sehnen. Du denkst dir, was für ein aufgeblähter Apparat und wie viele Menschen davon existieren, dass einige wenige Zeitgenossen ihr Innerstes nach außen kehren und in der Regel wenig Geld dafür bekommen.

Hier wird ein Fest der Hüllen gefeiert. Gut, das ist ein Gemeinplatz - und dennoch, vor Ort ist die Sache so eindeutig, dass man sich wünscht, woanders zu sein. Die Bücher sind Buchumschläge, die Autoren existieren als großformatige Porträtfotografien, sofern sie überhaupt existieren.

Péter Esterházy, das ist der mit den vielen Haaren auf dem Kopf. Der kriegt doch diesen Dingspreis. Hast du von ihm das Buch gelesen, das Buch, na? Ja hab ich, sein opus magnunm, zweifellos! Jaja, ganz deiner Meinung.

Dass Bücher Autoren haben, ist in Frankfurt kein Thema. Sie haben Verleger mit schütterem und Pressebetreuerinnen mit blondem Haar. Sie haben vor allem Rezensenten. Die, die nie jemand sieht, haben in der unfreundlichen Stadt am Main ihre glorreichen fünf Tage. Tage des Donners. Herrliche Tage des Furzens im Wind.

Ah, Karasek! Oh, Löffler! Uh, Greiner! Na, das ist doch die Heidenreich!

Fünf Tage lang kann man ihnen zuschauen, wie sie sich erleichtern. Daumen rauf, Daumen runter, an den so genannten Büchern der Saison wird geleckt wie an Trüffelparfait, gut haben wir das hingekriegt! - und auf die Araber hat man keinen Appetit mehr. Der Geschmack ist gewöhnungsbedürftig! Worum soll man sich denn noch alles kümmern, jetzt, wo man auch noch zum Jelinek-Rudelbeten aufgefordert wird.

Das Sektflötenensemble des Feuilletons sorgt für den Sound, der nie abreißen darf. Man ist gestresst. Auf roten, blauen oder grünen Sofas wird Meinung bis zum Abwinken produziert, was man halt so Meinung nennt in der Branche: den hinter falschen Zähnen hochgewürgten Lebensekel der Kollegin von 3sat ebenso wie das Geschleime des aspekte-Redakteurs, der jedem Autor vollmundig versichert, sein Buch sei das beste in diesem Herbst.

Kleinlaut liefern die Autoren Stichworte zu und werden anschließend von den Sofas gejagt. Von der Masse verschluckt, bleiben sie unerkannt. Außer Dolly Buster, die hat auch ein Buch geschrieben. Man erkennt sie an den aufgeschäumten Brüsten und Lippen. Und Franzi von Almsick, die tragische Heldin der tragödientrunkenen Deutschen. Und Udo Jürgens, der Wiedergänger des deutschen Schlagers aus dem komödiantenreichen Kärnten. Aber die sind für die Türsteher der Hochkultur nicht gesellschaftsfähig. Die einzige Aufgabe des Autors ist es, dem Kritiker zu bestätigen, dass er sich nicht getäuscht hat. Und tschüss!

Es sei denn, man ist so berühmt, dass man aufgrund seiner Haarpracht erkannt wird - wenn schon nicht durch seine Bücher. "Die Aufgaben von Schriftstellern, wenn ich das schon höre, da bekomme ich schon kleine Pickel", schimpft Péter Esterházy, "nein, die haben keine Aufgabe". Sprach's und ging nach der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels ein Schnitzel essen. Mit Champignons aus der Dose. Die Kritiker wenden sich mit Schaudern ab.

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