Ein durch und durch arabischer Roman

Die dunkle Seite der Liebe

"Die dunkle Seite der Liebe nimmt Mord und Totschlag in Kauf, um eine Liebe zu verhindern, wenn es darauf ankommt", sagt Autor Rafik Schami, "denn die Liebe hat in der arabischen Welt viele Spielarten", vom Gastrecht bis zur Liebe zwischen Mann und Frau.

Im Mittelpunkt des Romans steht die Liebe zwischen den beiden Protagonisten Farid und Rana. Farid ist ein Angehöriger des mächtigen Muschtak-Clans, Rana wiederum gehört zur Sippe der Schahins, die mit den Muschtaks seit Jahrzehnten verfeindet sind. Ausgehend von dieser Romeo-und-Julia-Geschichte entwirft Rafik Schami ein ebenso opulentes wie düsteres Bild einer Gesellschaft, in der die Ehre der Familie über alles geht und auch einen Mord rechtfertigt - einen Mord im Namen der Liebe.

Geschichte einer Blutfehde

Ausführlich beschreibt Rafik Schami das Leben im kleinen syrischen Dorf Mala, wo die Blutfehde zwischen den beiden Sippen ihren Ausgang nahm. Er nimmt sich viel Zeit, um die Geschichten der Familien durch ein Jahrhundert zu erzählen, wie Georg Muschtak, der Gründer des Muschtak-Clans, nach Mala kam, wie er mit Jusuf Schahin in Streit geriet, weil dieser Georg Muschtaks Frau ungebührlich behandelt hatte, und wie der unversöhnliche Hass der beiden Männer die Generationen überdauert:

Durch die immer stärkere Feindschaft zwischen den beiden Rivalen hatten auch ihre Anhänger, die Katholiken auf der einen und die Orthodoxen auf der anderen Seite, endlich eine klare Orientierung für ihren Hass und stellten sich eisern hinter ihre Häupter. Und der Dorfälteste Mobate wirkte bald nur noch als armseliger Vermittler, der sich immer wieder mühte, die zwei Herrscher voneinander zu trennen. Doch das war aussichtslos, denn die Feindschaft zwischen Katholiken und Orthodoxen ist im Orient über tausend Jahre alt.

Bunter Bilderbogen

Ein düsterer Hintergrund für die Liebe zwischen Farid Muschtak und Rana Schahin. Eingebettet ist die Geschichte der beiden Familien in eine Krimihandlung: In Damaskus wird die Leiche eines muslimischen Offiziers gefunden - auch dies ein Mord, der mit der Feindschaft zwischen den Sippen zu tun hat.

Es ist ein großes Werk, das Rafik Schami vorlegt, ein bunter Bilderbogen der syrischen Gesellschaft, manchmal schön, manchmal grausam. Auch die Politik hat der Autor nicht ausgespart: Zweimal wird Farid verhaftet und in ein Lager gebracht, gefoltert und gedemütigt, und immer wieder berichtet Rafik Schami auch von den politischen Umstürzen in Syrien, wobei er die Namen der Diktatoren freilich geändert hat.

Ein Jahrhundert syrischer Geschichte

Für den deutschsprachigen Leser mag das Buch in all seiner arabischen Opulenz mitunter fremdartig wirken. Rafik Schami berichtet nicht linear, sondern springt zwischen Zeiten und Orten, erzählt zwischendurch Geschichten von Nachbarn, Lehrern oder entfernten Verwandten, spannt einen mächtigen Bogen über ein Jahrhundert syrischer Geschichte. Nicht immer ist es einfach, sich zwischen all den Namen und Begebenheiten zurechtzufinden, aber eben diese kunstvolle Technik macht auch den Reiz des Romans aus, bringt den Orient mit all seiner Farbenpracht und auch mit seinen Schattenseiten direkt in die heimischen Wohnzimmer.

Ein durch und durch arabischer Roman in deutscher Sprache: Geschickt verwebt Rafik Schami Humor und Tragik, lässt seine Figuren mitten im Desaster Witze über den jeweiligen Präsidenten erzählen und will vor allem eines: seinen Leser auf kluge Weise unterhalten. Mit seinem Buch hat er auch einen Teil seiner Kindheit verarbeitet, hat versucht, seine eigenen Eltern besser zu verstehen und die arabische Gesellschaftsordnung zu durchleuchten. Herausgekommen ist ein wahrhaft großer Roman, ein Buch, das den Leser über fast eintausend Seiten hinweg in seinen Bann zu ziehen vermag.

Mehr zur Literatur des arabischen Raums in oe1.ORF.at

Buch-Tipp
Rafik Schami, "Die dunkle Seite der Liebe", Hanser Verlag, ISBN 3446205365

TV-Tipp
Unter dem Titel "Tausendundeine Geschichte" widmet ARTE Arabien einen Themenabend: Freitag, 8. Oktober, ab 22:55 Uhr.