Im Grenzland von Intervention, Club und Konzert
Wahrnehmungsverschiebung von "thilges 3"
Das Bloßlegen der sozialen Mechanismen, auf denen Musikproduktion und Musikrezeption beruhen, ist Mittelpunkt der künstlerischen Arbeit der österreichischen Formation "thilges 3". Beim "musikprotokoll" werden sie heuer gemeinsam mit dem Komponisten Eyvind Kang auftreten.
8. April 2017, 21:58
Armin Steiner über das Projekt "Izdiucz"
"thilges 3" agieren nicht nur, sie reagieren - ganz bewusst - auf Veranstaltungsort, Veranstaltungskontext und auf das Publikum. Anstatt Erwartungen zu erfüllen, werden Erwartungen gezielt hinterfragt; gelernte soziale Muster durch subtile Wahrnehmungsverschiebungen auf die Probe gestellt. Demnächst wird eine CD mit den Ergebnisse des Projekts "Izdiucz" erscheinen. Ziel der Zusammenarbeit mit Azim Al Chalabi und Zohreh Jooya war es, elektronische Klangkunst und traditionelle orientalische Kunstmusik zu einer gemeinsamen "globalisierten Musikidee" zu verschmelzen.
Paradox
Einige von Ihnen können sich vielleicht noch an die grandiose "thilges 3"-Aktion mit dem Titel "Paradox" im Wiener MAK erinnern. Das war im Jänner 2001, als Reaktion auf Österreichs schwarz-blaue Regierung und vor allem als Reaktion auf den sich damals plötzlich formierenden Widerstand in Österreichs elektronischer Musikszene, die bis dahin ja betont wenig Interesse an Politik gezeigt hatte, wie Nik Hummer diesbezüglich kritisch anmerkt. Anstatt sich in den Veranstaltungsreigen der Electronic Resistance und Volxtanz-Bewegung einzugliedern, haben "thilges 3" die Gardemusik Wien zu einem gemeinsamen Konzert eingeladen.
Dekonstruierte Gardemusik
Folgendes Setting muss man sich vorstellen: Gleich nach dem Durchschreiten des Eingangstores sieht man sich erst einmal der versammelten Gardemusik gegenüber, stolz thronend auf einer prominent in der Mitte der großen Ausstellungshalle platzierten Bühne. In frisch gebügelten Uniformen und mit feierlicher Miene geben rund 30 Musiker ihr Repertoire zum Besten. "thilges 3" selber sind nicht zu sehen. Statt dessen irritiert eine am Rande des Raumes platzierte Reihe Lautsprecher, aus denen das soeben Gehörte erklingt, jedoch eigenwillig gebrochen, so als hätte die Musik auf ihrem Weg zu den Lautsprechern einen geheimen Zermalmungsvorgang durchlaufen.
Auf der Suche nach dem geheimnisvollen Dekonstruktionsvorgang stößt man schließlich in einem Raum hinter der Ausstellungshalle auf "thilges 3", die dort die mittels einiger Mikrophone live abgenommene Militärmusik durch ihre analogen Synthesizer jagen. Wer hier nun Soundterrorismus wittert, dem sei das Wort Provokation entgegengehalten, allerdings Provokation im positiven Sinne, wie Armin Steiner erklärt: "Den beiden Wörtern Provokation und Penetration, die auch oft in Bezug auf unsere Arbeit verwendet werden, wird in der Regel eine negative Bedeutung beigemessen. Wir provozieren manchmal, das stimmt, aber im positiven Sinne: Wir überraschen das Publikum mit Situationen, mit denen sie bislang noch nicht konfrontiert waren."
Der Naschmarkt als Klanginstallation
Keine Aktion von "thilges 3" passiert in der gleichen Form zwei Mal. Immer wieder neue Kontexte erfordern immer wieder neue Konzepte. Als Folge eines Projektes, konzipiert als Eröffnungsevent für das Jeunesse-Festival 2003 "Orient/Okzident. Brücken - Wege - Spiegelbilder", hat sich nun aber erstmals eine längerfristige musikalische Zusammenarbeit ergeben, erzählt Nik Hummer.
Im Rahmen des Jeunesse Festivals 2003 luden "thilges 3" Musiker aus unterschiedlichen Kulturen ein, gemeinsam mit ihnen den Wiener Naschmarkt in eine riesige Klanginstallation zu verwandeln. Das Radio diente hierbei als zentrales Instrument. "thilges 3" mieteten für die Dauer ihrer Aktion eine temporäre Radiofrequenz. Über diese sendeten sie von einem Stand in der Mitte des Naschmarktes ihr Konzert. Die beteiligten Musikformationen, verteilt über das gesamte Naschmarktgelände und ausgestattet mit Radiogeräten, waren aufgefordert zu der Musik von "thilges 3" zu improvisieren.
Elektronische Klangkunst und orientalische Kunstmusik
An der musikalischen Intervention damals beteiligt haben sich unter anderem auch Azim Al Chalabi und Zohreh Jooya, mit denen "thilges 3" sich seit damals regelmäßig zum gemeinsamen Musizieren treffen. Demnächst soll auf dem Label Staubgold eine gemeinsame CD erscheinen. Grundlage der Kompositionen bilden verschiedene Maqams, ausgewählte orientalische Tonleitern. Ziel des Projektes, das den Titel "Izdiucz" trägt, ist es elektronische Klangkunst und traditionelle orientalische Kunstmusik in einem ausgewogenen Verhältnis zu einer gemeinsamen "globalisierten Musikidee" zu verschmelzen. Dieser Tage kann man "Izdiucz" in Österreich mehrere Male live erleben.
Mehr dazu im Ö1 Kulturkalender
"thilges 3" beim "musikprotokoll"
"thilges 3" werden auch dieses Jahr beim "musikprotokoll" im "steirischen herbst" vertreten sein, mit einem ganz neuen Projekt, an dem soeben noch heftig gearbeitet wird. Am Samstag, den 23. Oktober werden "thilges 3" im Grazer Dom im Berg mit dem Komponisten Eyvind Kang zusammentreffen, um in einer gemeinsamen Performance zu dem Begriff "Übertragung" künstlerisch Stellung zu beziehen, der im Zentrum des heurigen "musikprotokoll" steht und in seiner vielfältigen Bedeutung beleuchtet werden wird. Tags zuvor werden "thilges 3" und Eyvind Kang bei "Fast Forward" im Wiener Porgy und Bess zu Gast sein.
Veranstaltungs-Tipps
"Izdiucz" von "thilges 3" und Asim al Chalabi feat. Zohreh Jooya
am 30. September 2004 in der Sargfabrik Wien, am 1. Oktober 2004 im Kunstraum Innsbruck, am 2. Oktober 2004 in der Remise Bludenz und am 9. Oktober beim Jazzherbst St. Pölten im Kulturbeisl EGON, jeweils um 20:00 Uhr.
In der Sargfabrik Wien, im Kunstraum Innsbruck und in der Remise Bludenz erhalten Ö1 Club-Mitglieder ermäßigten Eintritt.
"thilges 3 & eyvind kang" sind am 22. Oktober im Porgy & Bess Wien und am 23. Oktober beim "musikprotokoll" im "steirischen herbst" zu sehen, Ö1 Club-Mitglieder erhalten im "steirischen herbst" ermäßigten Eintritt (50 Prozent).
Links
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Staubgold Records