Dem "Amerikanischen Traum" etwas entgegensetzen

Der Europäische Traum

"Er ist mächtig und kühn, der erste 'Traum', der sich an ein globales Bewusstsein richtet. Er ist das Spiegelbild zum 'Amerikanischen Traum', aber möglicherweise ein Traum, der besser zu einer Welt passt, die global ist und enger vernetzt." (Jeremy Rifkin)

Amerikaner glauben an Träume, vor allem an den einen: an den vom sozialen Aufstieg, an den, der aus Tellerwäschern Millionäre macht. So wurde "der amerikanische Traum" schnell zum Leitbild vieler Generationen, auch der von Jeremy Rifkin.

Wir sind mit dem "Amerikanischen Traum" groß geworden. Was uns unsere Eltern damit sagen wollten, ist, dass in Amerika jeder, ungeachtet seiner Herkunft, Erfolg haben kann, wenn er nur hart arbeitet. Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. Denke nicht an gesellschaftliche Unterstützung, die Devise heißt "schwimm oder geh unter".

Es gibt einen besseren Traum

Doch der "Amerikanische Traum" hat an Strahlkraft verloren. Börsenkrach, stagnierende Löhne, hohe Kriminalität und steigende Armut weckten den Verdacht, dass der "american way of life" eine Sackgasse sein könnte. "Amerika", sagt Rifkin, "ist das Land der unbegrenzten Möglichkeiten für ein kleines Segment Besserverdienender und das Land des Scheiterns für viele andere".

Es wären triste Aussichten, gäbe es nicht eine Alternative, einen neuen, einen anderen, einen besseren Traum: den europäischen. Er sei der Versuch, "einen neuen historischen Bezugsrahmen zu schaffen", der das Individuum von dem "alten Unfug abendländischer Ideologien" befreien und in ein neues Zeitalter führen könne. Mit dem "Europäischen Traum", glaubt Rifkin, "beginnt eine neue Geschichte".

Neubestimmung der conditio humana

Jeremy Rifkins Buch "Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht" beleuchtet den status quo zweier vermeintlich ganz unterschiedlicher politischer Systeme und beurteilt deren Perspektiven für die Zukunft.

Dass Jeremy Rifkin Europa nicht nur aus der Literatur kennt, belegt die Tatsachen, dass Rifkin Berater Romano Prodis war, des früheren Kommissionspräsidenten der EU, und für führende europäische Unternehmen arbeitete. Sein "Europäischer Traum" aber ist keine Beschreibung der EU, er zielt auf eine "Neubestimmung der conditio humana" aus europäischer Perspektive.

Der "Amerikanische Traum" legt den Schwerpunkt auf Wirtschaftswachstum und persönlichen Reichtum. Den Europäern geht es mehr um Lebensqualität und nachhaltige Entwicklung. (...) Die Europäer sagen immer, Amerikaner leben, um zu arbeiten, wir arbeiten, um zu leben. Das ist der Unterschied.

Spiel mit Gegenüberstellungen

Der "Europäische Traum" ist für Rifkin in vielem das genaue Gegenteil zum amerikanischen. Er stellt "Gemeinschaftsbeziehungen über individuelle Autonomie, kulturelle Vielfalt über Assimilation, spielerische Entfaltung über ständige Plackerei, universelle Menschenrechte und die Rechte der Natur über Eigentumsrechte und globale Zusammenarbeit über einseitige Machtausübung.

Keine Frage, Rifkin liebt das Spiel mit Gegenüberstellungen, liebt die Schwarz-weiß-Zeichung und groben Zusammenfassungen Und er lässt keinen Aspekt aus bei seinem großen Vergleichstest Europa gegen Amerika.

Betrachten wir das, wie wir gutes Leben bestimmen. Wenn wir es messen an dem Lohnzettel, liegt Amerika an der Spitze. Wir haben ein um 28% höheres Pro-Kopf-Einkommen als die Europäer. Wenn wir das gute Leben aber nach Aspekten betrachten wie Erziehung, Gesundheitsvorsorge, Freizeit oder Sicherheit in den Städten, dann hat Europa uns überholt.

Selbstbewusstsein ist angesagt

Für die Europäische Union mit ihren 455 Millionen Menschen und bald auch einer eigenen Verfassung gebe es keinen Grund zur Verzagtheit, Selbstbewusstsein sei angesagt und Vertrauen in den riesigen Binnenmarkt. Europa, nicht Amerika, ist für Rifkin das Modell einer kommmenden Weltgesellschaft.

Ein Traum ist deshalb so wichtig, weil man sich sonst immer auf die Träume anderer bezieht und die eigenen Fähigkeiten unterschätzt. Man hat weniger Selbstvertrauen, weil man keine Identität hat. Träume wecken Hoffnung und Optimismus. (...) Die Amerikaner können die Europäer lehren: auf Optimismus kommt es an.

Ein Slogan muss her!

Die Europäer machen gar keine so schlechte Politik, mag sich Mr. Rifkin aus Washington D.C. gedacht haben. Nur ein Marketing, einen Slogan, eine hoffnungsfrohe Perspektive - das haben sie nicht, und darum hat er ihnen einen "Europäischen Traum" verschrieben. Er ist schön, er ist freundlich, ein bisschen simpel und ziemlich lang. Und er ist optimistisch. Und darum ist dieser "Europäische Traum" auch ein ziemlich amerikanischer.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Jeremy Rifkin, "Der Europäische Traum. Die Vision einer leisen Supermacht", Campus Verlag, ISBN: 3593374315