Reinhold Messners Gesprächs-Autobiografie
Mein Leben am Limit
"Was betrachten Sie als Ihre größte Leistung?", fragt der Journalist den Bergsteiger. "Überlebt zu haben", erwidert der lapidar. Überlebt den Mount Everest und den Nanga Parbat, die Wüste Gobi und die Antarktis. Reinhold Messner feiert am 17. September seinen 60. Geburtstag.
8. April 2017, 21:58
Das Abenteuer, wie ich es suche, das ist im Grunde das klassische griechische Abenteuer, wie es beschrieben ist in der Odyssee: Da gehören dazu Schwierigkeiten, und zwar Schwierigkeiten, die das Unmögliche inkludieren. Nur wenn das Unmögliche da ist, kann ich all meine Kräfte einsetzen und dann eben scheitern. Ohne die Möglichkeit zu scheitern gibt es kein Bergabenteuer, so wie ich es verstehe.
Über alles reden
23 Stunden sprach der Journalist Thomas Hüetlin mit Reinhold Messner: über Heimat und Kindheit, Begegnungen und Anfeindungen; über Niederlagen und Erfolge, über Angst und Tod, aber auch über Bergsteigerklischees und die ganz persönliche Lebensphilosophie.
Ich hinterfrage das, was ich tue. Ich schaue mir die Menschen genau an, die auf die Berge steigen (...) und versuche, so nahe an der Realität zu bleiben wie möglich. Und mich interessiert ja in erster Linie die Menschennatur und nicht die Bergnatur.
Kind der Berge
Reinhold Messner, am 17. September 1944 in Brixen geboren als zweitältester Sohn eines Dorfschullehrers, wächst in einfachen Verhältnissen in Villnöß auf. Alle neun Kinder müssen in der Landwirtschaft helfen - und "genießen" eine sehr strenge Erziehung. Großzügig ist der Vater nur, wenn es um die Berge geht: Selbst ein glänzender Bergsteiger, erlaubt er den Kindern, unbeaufsichtigt die gefährlichsten Touren zu gehen.
Wichtiger als Rekorde ist Messner der persönliche Stil; ein bergsteigerischer Purismus, der jedes Sicherheitsdenken über Bord wirft, der auf Bohrhaken und Sauerstoffflaschen verzichtet, der auf Instinkte vertraut, auf die Fähigkeit, die richtige Route zu erkennen und extreme Einsamkeit zu ertragen.
Mich interessiert nicht, wie hoch und wie schwierig etwas ist. Mich interessiert, was die Menschen empfinden, wo sie auf sich selber zurückgeworfen werden. (...) Und heute bin ich auch überzeugt, dass wir nicht hinaufsteigen, um die Gipfel zu erreichen oder eine Wand zu durchsteigen, sondern um uns absolut auszusetzen. Und dabei setzen wir uns unseren Schwächen und Begrenzungen aus.
Neue Herausforderung
Nach dem Felsklettern und dem Höhenbergsteigen hat sich Messner in den 80er Jahren neue Herausforderungen gesucht: Das Durchqueren der größten Eis- und Sandwüsten. Parallel dazu hat er eine Familie gegründet, hat Schloss Juval, eine alte Burg auf einem Felsvorsprung zwischen dem Vinschgau und dem Schnalstal, erworben und renoviert und begonnen, eine eigene Landwirtschaft zu betreiben.
Er hat weiter Bücher geschrieben und ist in die Politik gegangen. Die letzten fünf Jahre saß Messner für die Grünen im Europaparlament und engagierte sich für ein multikulturelles Südtirol.
Ich träume von einem Europa, wo wir uns als Europäer empfinden, und davon, dass wir das Nationalgefühl langsam abschütteln.
Museum am Berg
Inzwischen hat er sich aus der Politik wieder zurückgezogen. Kompromissfähigkeit und Diplomatie sind auch sicher nicht die Stärken von Messner, der einräumt, seine größte Fähigkeit sei die, sich unentwegt unbeliebt zu machen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund, wettert gegen den Massenalpinismus und weigert sich, sich anzupassen: Konflikte sind da vorprogrammiert. Messner kann damit leben. Denn noch immer hat er Ziele, für die es zu kämpfen lohnt.
Die Aufgabe, die sich Messner für die nächsten Jahre vorgenommen hat, heißt "Messner Mountain Museum": ein Komplex verschiedener Museen zum Verhältnis Mensch und Berg mit einem Museum auf Burg Sigmundskron am Stadtrand von Bozen im Zentrum.
Porträt eines "Halbnomaden"
"Mein Leben am Limit" ist das Porträt eines Mannes, der sich als "Halbnomaden" bezeichnet, unruhig, fanatisch und - wie er zugibt - mit starken Aggressionen. Eines Menschen, der sich treu geblieben ist, der das allzu Gemütliche meidet. Wer von dem Buch bunte Bilder oder intime Einblicke ins Privatleben erwartet, wird enttäuscht. Frauen, Freunde oder Kinder kommen in dem mit lediglich sechs Schwarzweiß-Fotos ausgestatteten Gesprächsband allenfalls am Rande vor.
Es geht um anderes. Es geht um die "Philosophie" eines Grenzgängers, der nicht viel schlechter erzählen als bergsteigen kann, um eine gut formulierte Antwort, ein leidenschaftliches Plädoyer, eine polemische Replik nie verlegen. Mag sein, das Ganze ist nur eine geschickte, mit viel Tiefsinnigem durchwirkte Selbstinszenierung. Spannend zu lesen ist sie allemal, die Rückschau auf 60 Jahre gelebten und überlebten Wahnsinn.
Buch-Tipp
Reinhold Messner, Thomas Hüetlin, "Mein Leben am Limit", Malik Verlag, ISBN: 3890292852