Fragen Sie Dr. Sommer
Lohnt es sich, ein guter Mensch zu sein?
Das Leben ist voller Fragen, doch wer gibt uns die Antworten? Zum Beispiel Andreas Urs Sommer. Dr. Sommer ist Philosoph und da viele unserer alltäglichen Konflikte, Entscheidungen oder schlichten Fragen durchaus philosophische Dimension haben, ist er der richtige Mann.
8. April 2017, 21:58
Seit mehreren Jahren beantwortet Andreas Urs Sommer in seiner beliebten Kolumne im Schweizer Tages-Anzeiger Leser-Fragen aller Art. "Lohnt es sich, ein guter Mensch zu sein?" lautet der Titel seiner nun erschienenen Sammlung der interessantesten Fragen und Antworten daraus.
Sehr geehrter Herr Sommer! Lohnt es sich, ein guter Mensch zu sein? -
Liebe Frau J., ob es wohl je eine Welt gegeben hat, in der es sich "lohnte", ein "guter Mensch" zu sein? Seit gut 2500 Jahren ist unter Philosophen nicht nur umstritten, was "gut", sondern auch was der Satz "Gut sein lohnt sich" bedeuten könnte.
Tut Gutes tun weh?
Lohnt es sich, weil man eine Gegenleistung dafür bekommt oder lohnt es sich, weil das Gutsein an sich schon das Lebensglück bedeutet? Oder aber ist das Gute tun schlicht und einfach Pflicht? Dr. Sommer listet die drei gängigsten Antwortstrategien auf. Das Bibel-Zitat "Was du nicht willst, das man dir tu', das füg' auch keinem anderen zu" steht hier für die in allen Kulturen wohl meist verbreitete These des durchaus eigennützigen Gutseins. Der so Handelnde rechnet damit, früher oder später eine Gegenleistung für sein braves Tun zu erhalten.
Sokrates sah das ganz anders. Er meinte, die gute Tat selbst sei schon die Belohnung. Gutes tun ist Pflicht, war Immanuel Kants Credo. Eine Pflicht, die man sich als vernünftiges Wesen selbst auferlegt. Gutes tun muss also weh tun.
Jeder sein eigener Philosoph
Natürlich erhebt Andreas Urs Sommer keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit oder gar endgültige Wahrheiten. Seine aufgrund der beschränkten Kolumnenlänge kurz gefassten Antworten sind nie belehrend. Völlig unaufgeregt, diskussionsfreudig, klug und vor allem verständlich bietet Dr. Sommer sein Wissen an und regt an, das Philosophieren selbst weiter zu treiben.
Muss Liebe schön sein?
Die Leserin Maria R. hat folgendes Problem: Sie kennt einen Menschen, der sie aufrichtig liebt. Sie selbst schätzt ihn auch sehr, ist aber nicht die Spur verliebt in ihn. Ist Verliebtheit die Bedingung einer Liebesbeziehung? Braucht es Schmetterlinge im Bauch, um ein Leben gemeinsam gehen zu können?
Ein historischer Abriss kann hier durchaus zu erhellenden Einsichten führen. Es stellt sich heraus, dass "Liebe als Passion" eigentlich eine relativ neue Erfindung ist. Noch vor wenigen Jahrhunderten hätte kaum jemand auf die An- oder Abwesenheit von Liebe Rücksicht genommen, wenn es darum ging, eine "gute Partie" zu machen. Heute hingegen nehmen wir das Fehlen von Liebe richtig ernst, egal ob wir diese unergründliche Macht nun dem Herzen oder der Seele zuschreiben oder ob wir unsere Gefühle für das Produkt von Hormonen und Pheromonen halten. Wie lautet also Dr. Sommers Rat?
Wie wäre es, wenn Sie statt einer Entscheidung für eine Liebesbeziehung "contre coeur" weiter bei einer wunderbaren, so genannten platonischen Freundschaft blieben? Es gibt unendlich viele Schattierungen glücksträchtigen Zusammenseins, die man auskosten lernen kann, ohne sie gleich in die Schublade "Beziehung" oder "Partnerschaft" zu sperren.
50 Fragen, 50 Antworten
Moral und Recht, Erziehung und Gesundheit, Religion und Wirtschaft, jeder Bereich des Lebens lässt sich auch philosophisch besehen. Diese für Fragen des Alltags zumeist ungewöhnliche Betrachtungsweise garantiert verblüffende An- und Einsichten, vor allem wenn sie so unterhaltsam sind und aus berufener Feder stammen. Ist das Leben ein Traum? Was ist der Mensch, wenn er isst? Gibt es eine Seele? Der Philosophieprofessor und Autor findet zu jedem Thema erstaunliche Verknüpfungspunkte.
Das Schöne an Dr. Sommers zumeist doch wesentlich nüchterneren Betrachtungen ist, dass man auch als Laie Lust bekommt, philosophische Gedanken zu hegen. Er stößt sie gekonnt vom hohen Rosse, vom "Feldherrenhügel des reinen Geistes" und bringt sie in die vermeintlichen Niederungen des einfachen Daseins. Er weiß, dass seinem Fach vor allem eines entgegen gebracht wird: tiefes Misstrauen. Schuld daran ist, wie Dr. Sommer ausführt, ein großes Missverständnis. Denn die Philosophie als Verwalterin letzter, endgültiger Wahrheiten gäbe es nicht, sondern nur Philosophien. Denkweisen, die, wenn wir sie als Lebenshilfe akzeptieren und sie vor allem selbstdenkend anwenden, viel von ihrem Schrecken verlieren und tatsächlich bereichernd sein können.
Buch-Tipp
Andreas Urs Sommer, "Lohnt es sich, ein guter Mensch zu sein?", Eichborn Verlag, ISBN 3821855908