Alles dreht sich
Am Hang
"Am Hang" ist ein Roman über Lebensentwürfe, die wie Kartenhäuser zusammenfallen. Ein Buch über Liebe und Verrat und die 50 Möglichkeiten, seine Liebe zu verlassen und dabei sich selbst abhanden zu kommen. Alles dreht sich. Der Hang rutscht nach und nach ab.
8. April 2017, 21:58
Alles dreht sich. Was ist nur los mit mir, fragt sich Clarin. Er hat einen Mann kennen gelernt, eher zufällig, wie es schien, man hatte sich unterhalten, und jetzt kommt ihm vor, als sitze dieser Mann neben ihm, schaue ihm ständig über die Schulter und lese seine Gedanken. Beunruhigend, gespenstisch, verwirrend.
Eigentlich ist Clarin eine jener Personen, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen. Als er übers Wochenende ins Tessin fährt, hat er nichts anderes im Sinn, als sich ein paar ruhige Tage zu machen. Die Aussichtsterrasse, wo er des Abends zu essen pflegt, ist voll. Nur an einem einzigen Tisch ist noch ein Platz frei. Ob er sich zu ihm setzen dürfe, fragt er den älteren Herrn, der dort seinen Wein trinkt. Bitte, nur zu. Man beobachtet sich aus den Augenwinkeln, man könnte sich ja ein wenig unterhalten? Wieso nicht?
Über Frauen lässt sich's lange reden
Es wird viel geredet, von Mann zu Mann. Bei Markus Werner geht's wie immer sehr kultiviert zu: Ein weißer Merlot zum Auftakt, Saltimbocca als Hauptgang, ein gepflegtes Tischgespräch als Beilage. Eine geschliffene Konversation, die ähnlich klar dahinperlt wie das Mineralwasser in den Kristallgläsern.
Man redet über Frauen, über Ehe, Treue, den häuslichen Liebesalltag. Clarin ist ein fröhlicher Junggeselle, dessen Affären locker dahin laufen und immer dann enden, wenn sie verbindlich zu werden drohen. Loos, wie der andere heißt, hat seine Frau verloren, sie sei vor einem Jahr gestorben, erzählt er, er trauere sehr um sie.
Es wird intimer
Clarin ist ganz anders als Loos. Als Scheidungsanwalt weiß er, wo die meisten Ehen landen, in Rosenkrieg und Psychodrama. Wieso also soll er sich von Loos bekehren und in dessen Theorien einspinnen lassen? Doch je länger er mit seinem neuen Bekannten spricht, umso mehr fühlt er sich gefangen, auf merkwürdige Weise observiert und durchschaut.
Die beiden treffen sich ein weiteres Mal, eine ähnliches Procedere beginnt: Merlot, ein feines Essen, der Blick hinüber zum Kurhaus. Man verbrüdert sich, es wird intimer. Wie zum Beispiel seine letzte Beziehung verlaufen sei, will Loos plötzlich wissen. Clarin erzählt von seinem Verhältnis zu einer verheirateten Frau, das er vor einem guten Jahr beendet habe, auf eben jener Terrasse übrigens, auf der man jetzt sitze. Ja, auch er sei vor einem Jahr hier gewesen, erzählt Loos, seine Frau sei nicht weit von hier, im Kurhaus auf Erholung gewesen.
Was für ein Zufall!
Ach, nun lacht auch Clarin, auch seine damalige Geliebte habe dort gekurt. Das Leben ist eben ein Dörfchen, die beiden Männer prosten sich zu. Und jetzt erzähle er ihm auch, wie das wirklich gewesen sei mit seiner Frau, meint Loos. Sie sei in besagtem Kurhaus im Schwimmbad ausgerutscht und an den Verletzungen gestorben. Die beiden Männer verabschieden sich herzlich, wollen sich am nächsten Tag wiedersehen.
als Clarin am nächsten Tag ins Hotel kommt, wo Loos logiert, ist der schon abgereist. Man wisse nicht wohin, hört er, und überhaupt, der Mann heiße gar nicht Loos. Clarin ist verwirrt. Wer war dieser Loos? Was ist das für eine Geschichte, die er da aufgetischt bekommen hat? Kann es sein, dass die Frau, von der Loos erzählt hat, eigentlich - und überhaupt ... ihr Tod ... und schleicht da nicht Loos um sein Haus? Was könnte der wollen? Clarin wird schwindlig.
Kammerspiel mit überraschender Wendung
Markus Werners Roman, der als elegantes Männergespräch begonnen hat, ist ein Kammerspiel mit überraschender Wendung. Werner ist ein Meister der Geheimnisse. Die Mysterien, in die sein Roman abtaucht, sind subtil: die merkwürdigen Verbindungen zwischen Menschen; Lebenslinien, die plötzlich einen Knick bekommen. Werners Figuren stehen auf sicherem Boden, wie sie glauben, und merken dann, wie sie ins Stolpern geraten.
Vom Leser fordert Markus Werners Roman Tugenden, die fast schon aus der Mode gekommen sind: Geduld, den genauen Blick, ein feines Ohr. Wer dranbleibt, dem wird sich eine ganz eigene Erzählwelt eröffnen und der wird jenen Ton hören, der Markus Werner unverwechselbar macht.
Buch-Tipp
Markus Werner, "Am Hang", S. Fischer Verlag, ISBN: 3100910664