Das Böse ist immer und überall

Spitzel

Dass alle den Verrat lieben, aber den Verräter verachten, gilt besonders für ihn. Er wird gehasst, seine Informationen sind jedoch heiß begehrt. Die Rede ist vom Spitzel - ein Ausdruck, den man im Wörterbuch nicht zufällig zwischen "Spitzbube" und "spitzfindig" findet.

In den Augen der Opfer ist ein Spitzel ein Lügner und Betrüger, der sie auftragsgemäß hintergangen und ihr Vertrauen ausgenutzt hat. Doch auch in der Auftraggeberhierarchie steht er ganz weit unten und wird je nach Bedarf angeworben, ausgemustert und im Aufdeckungsfall naturgemäß fallen gelassen.

Um der eigenen kläglichen Existenz etwas abzugewinnen, mag sich ein Spitzel in dem Bedeutung und Gefährlichkeit erheischenden Begriff "V-Mann" sonnen, was eine besondere Verbundenheit - oder noch absurder: ein Vertrauensverhältnis - zu den Regressionsorganen ausdrücken soll. Aber auch das ändert nichts daran, dass ein Spitzel aus der Perspektive aller Beteiligten einfach das Allerletzte ist.

"Kiste" ist der Beste

Im umgangssprachlichen Sinne ist jeder ein Spitzel, der mit feindlicher Absicht versucht, Informationen über das politische Gegenüber zu sammeln. Geschichten über Polizei- und Verfassungsschutzbeamte, die oft jahrelang auf Demonstrationen oder einschlägigen Veranstaltungen Informationen sammeln, nehmen im Buch "Spitzel" den größten Platz in Anspruch.

Überall wo eine herrschaftsgefährdende Verschwörung unterstellt wird oder auch nur nicht gänzlich auszuschließen ist, sind Spitzel nicht weit. In manchen Staaten gehört das Spitzelwesen einfach zum System. Bestes Beispiel: die DDR. Wie die Stasi-Spitzel arbeiteten wird exemplarisch am "bestbezahlten informellen Mitarbeiter" anschaulich gemacht: Manfred Rinke, aufgrund seines enormen Leibesumfanges auch "Kiste" genannt. Die Motivforschung wird hier zur spannenden Spurensuche. Der langhaarige, rauschebärtige und extrem gemütlich wirkende Dresdner wird zwei Jahrzehnte lang zur Ausspähung von "Anhängern westlicher Rockmusik", von Trampern und so genannten "Bluesern" eingesetzt.

Stütze des Systems

Mit der Aufgabe stellt sich für den Schulabbrecher erstmals das Gefühl ein, in der Gesellschaft gebraucht zu werden, ja sogar Autorität und Einfluss zu besitzen. Geradezu pragmatisch zeichnet sich schon sein späterer Status in der Szene ab. Zum einen gehört er als Langhaariger scheinbar zum Teil der gegen die gesellschaftliche Enge rebellierenden Jugend, andererseits ist er Stütze des Systems als eifriger Zuträger wertvoller Informationen.

Seine Spitzel-Tätigkeit ist den Verantwortlichen offenbar so wertvoll, dass er später ungeniert immer mehr Geld dafür verlangt. 1988 kündigt er überraschend.

Stümper-Spitzel

Wie tief man sich die verwirrende Welt eines Doppelagenten verstricken kann, obwohl man dieser Situation in keiner Weise gewachsen ist, beweist die tragisch-skurrile Geschichte von Ulrich Schmücker. Anfang der 70er Jahre schließt sich der labile junge Mann in Deutschland einer linksradikalen Untergrund-Gruppe an, wird verhaftet und sieht die einzige Chance auf baldige Freilassung im Angebot seiner Spitzel-Tätigkeit. Dabei stellt er sich jedoch dermaßen ungeschickt an, dass er "liquidiert" wird. Ein Mord, der bis heute ungeklärt ist.

FBI vs. Black Panther

Ähnlich brutal ging Ende der 60er-Jahre das FBI gegen die schwarze Bürgerrechtsbewegung vor. Im Kapitel "You can kill a revolutionary, but you can't kill the revolution" lernt man die dabei angewandten schmutzigen Tricks kennen. Das "geheime Programm zur Vernichtung der Black Panther Party" sieht von Propagandaaktionen mit gefälschten Flugblättern bis zur Unterwanderung mit Spitzel alle zielführenden Methoden vor. Dabei wurden nicht nur wirkliche Spitzel eingesetzt, sondern auch die Sorge vor ihnen produziert.

Um eine politisch aktive Studentin in Verruf zu bringen, ließ das FBI sie gemeinsam mit einer Kommilitonin durch die örtliche Polizei festnehmen und Letztere "versehentlich" Zeugin eines abgesprochenen Telefonats werden, in der ein Polizist mit dem FBI über die "irrtümliche Festnahme einer FBI-Agentin" sprach."

Modernes Schnüffelwerkzeug

In den USA, in Kolumbien, in der ehemaligen DDR, im alten Russland - die Anthologie "Spitzel" gibt erschreckend detailreich Auskunft über die dreckigen Methoden der Geheimdienste, die oft nicht nachvollziehbaren Beweggründe der Spitzel und ihre ausgeklügelten, aber deswegen nicht weniger widerwärtigen Tätigkeiten. Und wir lernen: Spitzel sind immer und überall. Man sieht sie nicht, man hört sie nicht und sie haben heutzutage immer seltener zwei Beine.

Im Abschlusskapitel beschäftigt sich Herausgeber Klaus Viehmann eingehend mit modernem Schnüffelwerkzeug und wie leicht es mittlerweile für jeden Möchtegern-Spitzel zu haben ist.

Grund zur Panik? Wenn all das, was hier aufgezählt wurde, ständig störungsfrei zur Anwendung kommen würde, sähe es wirklich düster aus. Zum Glück ist jede Technik - noch - pannenanfällig. Außerdem ist sie kostenintensiv und ihr Einsatz erfordert geschultes Personal. Auch der größte Aufwand führt nicht immer zu verwertbaren Ergebnissen.

Buch-Tipp
Markus Mohr und Klaus Viehmann (Hg.), "Spitzel", Verlag Assoziation A, ISBN 3935936273