Überlebenskünstler

Franklin Flyer

Ein Franklin Flyer stürzt sich in der Krise nicht vom Dach - es sei denn, er könnte auf diese Weise im Stil von Superman als Held in die Abgründe des Bösen düsen. Wie Superman eilt er von einem Abenteuer zum nächsten - und besteht sie natürlich alle mit Bravour.

Der junge Mann mit dem zerknitterten weißen Anzug und dem hellen Filzhut kletterte auf eine Trittleiter, die auf dem Tisch stand. Er öffnete das vom Mittagslicht überflutete Fenster und schwang sich auf das schräge Dach. Vor der Kulisse einiger großer Wolken, siebzig Stockwerke über den belebten Straßen stemmte er die Hände in die Hüfte und ließ den Blick über die gezackte Skyline und die Lichter des Hafens schweifen, als ein heftiger Windstoß ihm den Hut vom Kopf wehte. Schwankend griff er nach ihm...

Fang den Hut!

New York, 25. Oktober 1929. Es ist der so genannte "Schwarze Freitag", an dem mit dem Crash der New Yorker Börse die Weltwirtschaftskrise beginnt. Der junge Mann aber - Franklin Flyer -, der gleich zu Beginn von Nicholas Christophers Roman auf das Dach eines Hochhauses in Manhattan klettert, tut dies nicht etwa deshalb, weil er - wie so viele andere an jenem Tag - von der Krise betroffen selbstmörderische Absichten hegt; und er stürzt auch nicht in die Tiefe, als er - vergeblich - seinen Hut wieder einzufangen versucht. Ganz im Gegenteil: Er ist euphorisch, voll Tatendrang und bereit für einen Karriere-Höhenflug. Und der Hut, den es durch ein offenes Fenster in ein Gebäude auf der anderen Straßenseite weht, führt ihn auf die Spur einer geheimnisvollen, schönen Frau.

Von einem Abenteuer zum nächsten

Ein Typ vom Schlag eines Franklin Flyer stürzt sich nicht vom Dach - es sei denn, er könnte auf diese Weise im Stil von Superman als heldenhafter Kämpfer in die Abgründe des Bösen düsen. Tatsächlich ähnelt Franklin Flyer in vielem der populären Comics-Figur. Er eilt von einem Abenteuer zum nächsten und besteht sie natürlich alle in heroischer Weise; ob es nun gilt, sich als einziger Überlebender eines Schiffsunglücks durch die Antarktis zu schlagen, Messerstechereien der Gangs im New Yorker Hafen zu parieren, in argentinischen Nachtlokalen für Ordnung zu sorgen, verrückte Wissenschaftler außer Gefecht zu setzen, staatsfeindliche Verschwörer ins Jenseits zu befördern oder als Agent des US-Geheimdienstes während des Zweiten Weltkrieges in Europa für zahlreiche spektakuläre Aktionen zu sorgen.

Das alles passiert in einem Zeitraum von 14 Jahren - zwischen 1929 und 1942 - und in 14 mit den Jahreszahlen betitelten Kapiteln. In dieser Zeit schafft es Franklin Flyer außerdem noch, als kreativer Comics-Illustrator Aufsehen zu erregen, als Erfinder reich zu werden und diesen Reichtum dann als Medientycoon ins schier Unermessliche zu steigern. Er ist der Liebling der Society, man buhlt um seine Aufmerksamkeit, mit der Prominenz ist er auf du und du, Rita Hayworth, so wird erzählt, hat er einst aus der Gosse gerettet, und mit Josephine Baker ist er durch Spionagekontakte verbunden.

Nur fliegen ist schöner

Als 100-Jähriger - im letzten Kapitel, betitelt mit der Jahreszahl 2007 - steigt er dann nochmals aufs Hochhausdach.

Er stemmte die Hände in die Hüften, und im gleichen Augenblick riss ihm ein Windstoß den Hut vom Kopf. Er ließ ihn fliegen - der Wind trieb ihn himmelwärts, wo er sich in einen goldenen Fleck verwandelte, bevor er ganz verschwand.
Wenig später trat ein junger Mann im weißen Anzug aus dem Gebäude, sah nach rechts und nach links, wischte sich den Staub von den Ärmeln und wurde im nächsten Augenblick von der Menge verschluckt.

Superman darf nicht sterben!

Superman darf natürlich nicht sterben; auch das gehört mit zum Spiel mit den Stilmitteln des Groschenromans und der Abenteurergeschichten, deren sich Nicholas Christopher in seinem Roman exzessiv bedient. Mit viel Action und Dramatik liest sich das Buch zugegebenermaßen sehr flott.

Eine durch und durch gelungene Umsetzung von Elementen der Pulp-fiction ins Literarische, wie sie manche Kritiker in dem Werk entdecken wollen, ist "Franklin Flyer" aber sicher nicht. Dazu bedürfte es erzählerischer Distanz, inhaltlicher Gegenpositionen, ironischer Brechungen. Diese aber fehlen. Und damit bleibt "Franklin Flyer" eine spannende und trotz 395 Buchseiten eher leichte Sommerlektüre.

Buch-Tipp
Nicholas Christopher, "Franklin Flyer", Klett Cotta Verlag, ISBN: 3608935940