Jugendliches Aufbegehren
Azarel
Der 1897 in Sopron geborene Károly Pap entstammte einer der angesehensten Rabbinerfamilien des Landes und hat in "Azarel" zahlreiche autobiografische Elemente verarbeitet: Ein jüdischer Bub rebelliert gegen die Glaubensvorstellungen seines Vaters.
8. April 2017, 21:58
Károly Pap hat mit dem Buch "Azarel" im Jahr 1937 einen Roman vorgelegt, der in seinem Heimatland für Aufregung gesorgt hat. Der Ungarischen Zionistische Verein veranstaltete anlässlich der Erstveröffentlichung ein so genanntes "Literaturtribunal", um über die vermeintliche Rabbinerfeindlichkeit des Buches zu befinden. Dass der Autor wusste, wovon er schreibt, stand außer Frage.
Wenn Erziehung zur Qual wird
In "Azarel" wird die schmerzhafte Jugend eines jüdischen Buben beschrieben, der gegen die Glaubensvorstellungen seines Vaters, eines Rabbiners in einer ungarischen Provinzstadt, und gegen die Orthodoxie seines Großvaters rebelliert. Mit alttestamentarischer Gewalt fordert der greise Jeremia der Familie Azarel den jüngsten Sohn ab, um den Knaben nach Regeln zu erziehen, die selbst den wohlmeinensten Angehörigen der jüdischen Gemeinde bizarr erscheinen.
Das Bitten und Flehen der Mutter, sich die Sache doch noch einmal zu überlegen, sowie ihr in einem zarten Brief vorgebrachter Hinweis, dass Kinder doch nicht dazu da seien, um sie der Schrift und der Lehre zu opfern, fruchtet nichts und wird für weibische Anmaßung gehalten.
In Jahwes Wasser baden
In den Augen des kleinen Gyuri Azarel erscheint der Großvater genauso unerschütterlich wie die Schrift, deren Auslegung er lehrt. Er selbst begegnet der Gefahr der befürchteten Assimilation mit einer vollständigen Abkapselung von der Umgebung und mit einem ins Unermessliche gesteigerten Erlösungsglauben. Seine äußere Lebensführung treibt er dabei ins Extrem eines mittelalterlichen Asketen.
Einmal sieht der kleine Gyuri den knorrigen Alten im kalten Wasser des Baches sitzen, ein Ritual, das der Großvater - ob im Sommer oder im Winter - tagtäglich vollzieht. Nicht in ein simples H2O vermeint sich Jeremia getaucht, sondern in jenes Wasser, das Jahwe am dritten Tag der Schöpfung erschaffen hat.
Mit säuerlicher Miene bespritzte sich der brave Alte, doch er tat es mit einer düsteren, zu allem entschlossenen Andacht. Dann tunkte er seine knochigen, knotigen langen Finger in das fließende Wasser, Finger, die wie Ausrufezeichen von seiner Hand abstanden.
Aufbegehren gegen den Vater
Károly Paps Buch quillt von solchen Ausrufezeichen über: Aus der rigiden Welt des Großvaters, aber auch aus der eher aufgeklärten des Vaters strecken sie sich dem Buben drohend entgegen. Mit dem Vater, in dessen Haus der Heranwachsende zurückkehrt, nachdem der Großvater - und fast ist man verleitet zu sagen: glücklicherweise - verstorben ist, hat Gyuri ein vergleichsweise einfaches Spiel.
Als Rabbiner steht der Vater in der Gemeinde an exponierter Stelle. Gyuri klappert als Bettler die christlichen Läden der Stadt ab, ein anderes Mal taucht er in der Synagoge auf und stellt dort dem Vater jene Frage, die dieser zu Hause bei Tisch partout nicht beantworten wollte: Ob er denn tatsächlich glaube, dass es den Gott, den er predigt, auch wirklich gibt.
Ein veritabler Skandal
Der Sohn eines Rabbiners darf so etwas natürlich niemals fragen und schon gar nicht darf er es in der Synagoge tun. Kurzum: Die Sache entwickelt sich zu einem veritablen Skandal, und Gyuri wird von seiner Familie kurzerhand für krank erklärt. Wie die Geschichte ausgeht, die letztendlich eine Geschichte um die jüdische Assimilation und/oder das Beharren auf dem jüdischen Eigensinn ist, lässt Károly Pap offen.
Das weitere Lebensschicksal der Hauptfigur sollte einem oder mehreren Nachfolgeromanen vorbehalten sein. Dass es dazu nicht gekommen ist, hat seine Ursache in der realen Geschichte. Károly Pap fand keine Publikationsmöglichkeit mehr vor, 1945 wurde der Autor in Bergen-Belsen ermordet.
Buch-Tipp
Károly Pap, "Azarel", aus dem Ungarischen von Hans Skirecki, Luchterhand Verlag, ISBN: 3630871577