Treten, buckeln, urinieren

03. Die Radfahrer sind schuld

225 Kilometer Radrennen rund um die Akropolis. Damit hätte Sokrates nicht gerechnet. Der musste aber auch kein weißes Trikot mit roten Punkten tragen als Zeichen für den Führenden in der Bergwertung. So wie ich.

Ich fand es im zarten Alter von 13 ziemlich beeindruckend, als der damalige Freund meiner Schwester - ein Radamateur - 150 Kilometer mit dem Rad gefahren ist, nur um sie im Urlaub zu besuchen. Der Gedanke, dass er auch mit Bus oder Bahn hätte fahren können, ist mir nie gekommen.

Zwar habe ich es bis heute nicht zu derlei Liebesbeweisen gebracht, damals war aber der Anfang für eine neue Leidenschaft gemacht. Flugs wurde die Firmung zu ihrer Bestätigung zweckentfremdet und ein erstes Rennrad samt Trikot angeschafft.

Das weiße Leibchen mit den roten Punkten finde ich heute vielleicht ein wenig affig und leicht angeberisch - trägt es legitimerweise doch der beste Bergfahrer bei der Tour de France -, damals war mir das Bezwingen von Kahlen- und Bisamberg im Sattel aber Legitimation genug.

Über Pyrenäen, Alpen und Dolomiten

Übertrumpft wurde diese Leidenschaft nur noch von der Passion, den anderen bei der Plackerei zuzusehen. Ich begann die Pyrenäen-, Alpen- und Dolomitenpässe der großen Rundfahrten auswendig zu lernen - Tourmalet, Alpe d'Huez, Stilfserjoch -, die von den "Helden der Landstraße" mit ihren "geölten Beinen" bevölkert wurden.

Besonders angetan haben es mir immer die reinen Bergfahrer, putzmunter wenn es bergauf geht, aber wahre Schleicher in der Ebene: Typen wie Lucien van Impe oder Louis Herrera (wer sich erinnert), die in der Gesamtwertung von Tour oder Giro nie eine Chance hatten. Autobiografische Ähnlichkeit quasi.

Immer mehr Wissen

Dank umfassender Informationsangebote und österreichischer Erfolge - ich sage nur: Harry Maier, Gerhard Zadrobilek, Georg Totschnig - gehören die Cycle-Connaisseure heute nicht mehr zu einer verfolgten Randgruppe. Von den Radfahrern weiß man mittlerweile fast alles. Nicht nur, dass sich Buckeln nach oben und Treten nach unten karrierefördernd auswirken kann.

Auch warum sich die Pedaleure ihre Beine oberschenkelabwärts rasieren wie sonst nur die Models auf dem Laufsteg, ist heute allgemeines Bildungsgut. Genau wie die Übersetzungsverhältnisse der Zahnkränze, die die Fahrer treten. Vorne 52 Zähne oder 53, hinten die kleine Scheibe - mit sagen wir maximal 12 Ritzel?

Selbst über das Urinieren des kompakten Hauptfeldes während der Fahrt ist man heutzutage voll im Bilde. Bzw. nicht, denn die Kameras schwenken meistens dezent weg, wenn sich die Fahrer zu einer Pinkelpause entschließen.

Ausscheidungsrennen nicht olympisch

Üblicherweise geschieht "es" dank bewundernswerter Körpertechnik und -beherrschung während der Fahrt. Der männliche Biker strahlt sozusagen an den Wegesrand der Natur, der er sanft entgegentritt. Gegen Ende einer Etappe kann es aber schon auch einmal in die Hose gehen, wie ich mir sagen ließ.

Als besonders asozial gelten Fahrer, die während eines solch kollektiven Toilettengangs einen Angriff reiten, die Verfolgung lässt sich dann nämlich nicht so leicht in die Hand nehmen. Derlei Probleme sind in Athen nicht zu erwarten, Ausscheidungsrennen auf der Bahn sind nämlich nicht mehr olympisch (Achtung Wortwitz). Dafür geht es auf der Straße 225 Kilometer rund um die Akropolis.

Lukas Wieselberg ist Redakteur bei science.ORF.at. Die erste Bekanntschaft mit Radlerhaxen von Profis machte er vermutlich im Alter von sechs Jahren in Lignano Sabbiadoro (Giro d'Italia). Er fährt natürlich auch selbst Rad und hat dabei viele Gemeinsamkeiten mit so genannten Bergflöhen: dicke Wadeln und dennoch keine Chance, jemals die Tour de France zu gewinnen.

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