Die Faszination ausgestorbener Sportarten
01. Olympia einst
Wenn die Olympischen Spiele heute eröffnet werden, sind sie dort, wo sie hingehören: in Griechenland. Zwischen den ersten Spielen der Neuzeit und den nun beginnenden liegt ein langer Weg an Irrtümern und kuriosen Disziplinen. Ein Blick auf die Trendsportarten von Seinerzeit.
8. April 2017, 21:58
Mit Trends ist das so eine Sache. Sie sind eine Tochter der Zeit, könnte man mit Francis Bacon und einem Nationalratspräsidenten sagen. Das gilt auch für Trendsportarten. Was alles den Weg ins Programm von Olympischen Spielen gefunden hat, könnte Kulturanthropologen der Zukunft einige Rätsel aufgeben.
Welche Art von Sport-Helden konnten einst die Veranstalter von Hindernisläufen und Sackhüpfen hervorbringen? Wohl nur tragische. Besonders bei den zweiten Spielen (Paris 1900) ging mit den Funktionären die Phantasie durch. Die Olympischen Bewerbe fanden im Rahmen der Weltausstellung statt und erstreckten sich über fünf Monate. Unter den Bewerben: Sportangeln, Rettungsschwimmen, Autofahren mit Lastwagen und Taxis. Im Rahmenprogramm: Kanonenschießen.
Frauen in fünf von 178 Bewerben
Frauen durften 1900 nur in Golf und Tennis antreten, dafür beim Segeln und Ballonfahren ihren Männern in Kajüte und Korb die Daumen halten.
Taubenschießen und Duellpistole
Die olympische Trias "höher, schneller, weiter" hatte vor 104 Jahren für Tauben eine etwas andere Bedeutung als für Athleten. Nämlich eine lebensentscheidende. Gold im Taubenschießen holte der Belgier Leon de Lunden mit 21 Vögeln.
Zwölf Jahre später hantierten Sportschützen auch mit der "Duellpistole". Der Bewerb wurde, soweit bekannt, nicht im K.O.-System ausgetragen.
Welche Bewerbe der verrückten 1900er-Spiele überhaupt als olympisch anerkannt werden sollen, ist noch immer Thema sporthistorischer Debatten. Kein Wunder. Das IOC versuchte erst Jahre später die Siegerlisten zu "rekonstruieren" und verlieh die Medaillen im Jahr 1912.
"Anthropological Days"
Das bekannte Vorurteil, farbige Sportler seien per se schnelle Sprinter, gab es bei den Spielen in St. Louis im Jahr 1904 noch nicht. Mit der Durchführung von "Anthropological Days" testete das weiße, von der Rassentrennung bestimmte Amerika die "minderwertigen" Rassen.
Dabei hatte sich Olympia-Vater Pierre de Coubertin gewünscht, dass unterschiedliche Rassen und Klassen im Sport keine Rolle spielen sollten. Ist das heute so? Dass im Sprint schwarze Amerikaner und im Schwimmen nur weiße College-Studenten dominieren, ist wohl weder Zufall noch genetisch bedingt. Dafür sorgen komplexe soziale Selektionsmechanismen.
Kopfweitsprung und Flucht vor Hunden
Einer der ersten Afrikaner bei olympischen Spielen hatte mit den mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen in St. Louis 1904 zu kämpfen. Beim Marathon hefteten sich zwei Hunde an seine Fersen, der Läufer musste sich in ein Weizenfeld retten. Vor 100 Jahren ebenfalls im Bewerb: Kopfweitsprung (ins Wasser!).
Anarchisch ging es 1912 im Ringen zu: Es gab noch keine ausgefeilten Regeln. Deshalb rangen der Este Klein und der Finne Asikainen im Mittelgewicht zehn Stunden und 15 Minuten miteinander. Dann wurde der Kampf ohne Sieger abgebrochen.
Springen für Faule
Manch ungewöhnliche Sportart brachte beachtenswerte Ergebnisse: Ray C. Ewry gewann alle der zehn Wettbewerbe im "Springen aus dem Stand" von 1900 bis 1908. Sein Rekord im "Weitsprung aus dem Stand" von 3,47 Metern hielt bis 1938 - seit damals springt man nur mehr mit Anlauf.
Was ist "Jeu de Paume"?
Unter den ausgestorbenen Olympia-Arten finden sich weitere Exoten. Die Croquet-Bewerbe sahen 1900 nur französische Sieger, weil nur Franzosen angetreten waren. Bei den darauffolgenden Spielen wurde Croquet als "Roque" auf hartem Boden ausgetragen. Alle Medaillen gingen an Amerikaner. Warum? Genau. Man war unter sich. (Croquet wird übrigens nicht mit lebenden Igeln gespielt - das war ein Privileg der "Queen of Hearts" aus "Alice im Wunderland".)
"Jeu de Paume" (London 1908, Amsterdam 1928) heißt auf Deutsch "Spiel mit der Handinnenfläche" und war ein Vorläufer des Tennis. "Lacrosse" (St. Louis 1904, London 1908), kanadischer Nationalsport, ist ein Ballspiel mit zehn Spielern bzw. zwölf Spielerinnen in zwei Mannschaften, die mit einem Netzschläger versuchen, den Ball in das gegnerische Tor zu befördern.
"Retrolympics"
Ob unseren Nachkommen Volleyball in der Sandkiste aka Beachvolleyball ebenso fremd sein wird wie uns heute Keulenschwingen und einarmiges Gewichtheben? Vielleicht machen sie es wie der "Verein zur Förderung ehemaliger olympischer Sportarten e.V.". Der veranstaltet seit 2003 "Retrolympics", um vergessene Olympia-Sportarten wiederzubeleben. Heuer fanden die Bewerbe in Heidelberg statt, Taubenschießen war nicht dabei. Lang lebe die olympische Idee!
Buch-Tipp
Ulrich Sinn, "Das antike Olympia - Götter, Spiel und Kunst", Verlag C.H. Beck, ISBN: 3406515584
Mehr dazu in Ö1 Highlights
Links
Retrolympics
Die olympische Idee
Kunstbewerbe bei den Olympischen Spielen
The Olympic Hide-and-seek Final - Monty Python
International Philosophy - Griechenland vs. Deutschland
100m-Lauf der Männer ohne Orientierungssinn