Peter Henischs Erfahrungen mit dem Medium Radio

Stimmenhören

Als der Nachfolger des Volksempfängers ausgedient hatte, kam ein neuer Apparat ins Haus. So einer mit dem magischen grünen Auge, das meistens flackerte und nur manchmal ruhig blieb. Aber erst der Kofferradio machte endgültig unabhängig.

Stimmen und Töne, auf deren Wiederkehr man sich verlassen konnte

Vor dem Radio sitzen und darüber nachdenken, was dahinter steckt. Hab ich gemacht als Kind, hat die Katze gemacht. Der Apparat zuerst noch ein Nachfahre des unseligen Volksempfängers. Stand das Gerät in der Küche, so spielte es anbiederlich Heimisches, stand es in der Dunkelkammer des Vaters, so spielte es Amerikanisches - Boogie Woogie nannten das meine Eltern, das war, wie die Nachbarin sagte, Negermusik, aber die passte zu den Negativen, mit denen mein Papa umging.

Der vergilbte, vibrierende Stoff, mit dem die Öffnung bezogen war, aus der die Töne heraus kamen. Die vibrierenden Schnurrhaare der Katze, die um den Apparat herum strich. Manchmal rückte ich das Gerät ein wenig nach vor, die hölzerne Rückseite hatte Löcher, aus denen eine gewisse Hitze entwich. Irgendwann schenkten meine Eltern den alten Radioapparat dem Herrn Franz, einem Bastler, der die Röhren ausbaute und die Hülle auf irgendeine Schutthalde warf, und ein neues, viel schöneres Rundfunkgerät stand im neu eingerichteten Wohnzimmer.

Das neue Gerät war mehr breit als hoch, das war der Zug der Zeit. Es hatte elfenbeinfarbene Tasten und zwinkerte mich mit seinem magischen Auge grünlich an.

Von den Namen der ausländischen Sender, die man einstellen konnte, ging eine große Faszination aus. Die ganze Welt, sagte mein Vater, könne man über die Radiowellen ins Haus holen. Über die Kurzwelle bekam man sie eher herein als über die Langwelle. Zwischen Quietsch- und Gurgeltönen schwammen fremdsprachige Stimmen. Die Musik verursachte ein vages Fernweh. Beides, Stimmen und Musik, konnten ganz plötzlich untergehen und verschwinden.

Die Ultrakurzwelle klang ohne Frage am vollsten. Aber die Mittelwelle hatte die größte Seriosität. Stellte man sie ein, so blinkte das magische Auge ganz ruhig. Da gab es Stimmen und Töne, auf deren Wiederkehr man sich verlassen konnte.

Die weibliche und die männliche Stimme der Sendung Ein Gruß an Dich zum Beispiel. Im Alter zunehmender Respektlosigkeit redete auch ich, wenn meine Mutter diese Unverwüstlichkeit immer noch hörte, von der Erbschleichersendung, aber im Alter von sieben oder acht ließ ich sie mir gefallen. Oder Die Radiofamilie. Da stellte ich mir richtige Menschen dahinter vor. Der Onkel Guido mit seinem sonoren Organ war mir am liebsten.

Apropos sonores Organ: Da fällt mir noch eine weitere Stimme ein. Sie trat in mindestens zwei Verkleidungen auf. Sie gab Gute Ratschläge für die Hausfrau und sprach außenpolitische Kommentare. Der selbe Herr, der erklärte, wie die geschätzten Damen das Weinen beim Zwiebelschneiden vermeiden konnten, erzählte ein paar Minuten später über die Konsequenzen von Kriegen, Waffenstillständen und Konferenzen - Man steht am Fenster hieß die Sendung, ich sah den Typ aus einer von Kochdunst erfüllten Küche in ein kühles Zimmer treten, wo er den Vorhang beiseite schob und hinaus schaute, sehr weit blickend.

Sagen Sie nicht, ich kann mich in diesem Alter noch nicht für Politik interessiert haben, ich interessierte mich ja auch für Kultur. Ich hörte die Sendung Du holde Kunst, die war der Sonntagsmesse sehr benachbart. Dichterworte, gesprochen von Burgschauspielern. Manchmal war die holde Kunst Gott sei Dank auch heiter.

Ein bisschen später kam allerdings der Sport. Ich erinnere mich daran, wie ich Sonntagabend vor dem Radio saß und Sport und Musik hörte. Schon die Kennmelodie versetzte mich in erwartungsvolle Spannung. Die prinzipiell aufgeregten Stimmen der Herren Heribert Meisel und Edi Finger gingen sofort ins Blut über wie Traubenzucker.

Vielleicht schenkten mir meine Eltern deswegen den Kofferradio. Dass ich mich mit meinem Sport in mein Zimmer zurückzog. Da war ich zehn oder elf. Wir waren in eine neue Wohnung übersiedelt. 1954 wurde Österreich bei der Fußball-WM in der Schweiz Dritter.

Das waren noch Zeiten! Der Kofferradio eignete sich auch zum nächtlichen Hören. Ich hörte Das Lied der Prärie. Dann Tanzmusik auf Bestellung. Unter der Decke. Da regte sich schon so etwas wie Renitenz. Die Musicbox der Jugendredaktion hörte ich allerdings erst etwa anderthalb Jahrzehnte danach.