Kein Musiker der Kompromisse
Vergebliches Hoffen auf Wiederkehr
Er hätte jede Bedingung, jeden Preis für ein einziges Auftreten stellen können: Carlos Kleiber. Lange hoffte man, den sensiblen Maestro für den heurigen Salzburger "Rosenkavalier" gewinnen zu können. "Apropos Oper" gedenkt des gestorbenen großen Dirigenten.
8. April 2017, 21:58
Er hätte jeden Preis verlangen, jede Bedingung stellen können für ein einziges Auftreten. Die ganze musikalische Welt wäre ihm zu Füßen gelegen, hätte er nur gewollt: Carlos Kleiber, der am 13. Juli im Alter von 74 Jahren gestorben ist. Doch er wollte schon seit Jahren nicht mehr. Warum, das wird wohl für immer Spekulation bleiben.
War er wirklich der große Unberechenbare, der Schwierige? Oder war seine permanente Verweigerung vielleicht nur eine Art von Koketterie, geschicktes Marketing - oder war er einfach der ehrlichste aller großen Pultstars, einer der die Musik genau so geliebt hat, wie er den Rummel um sie abgelehnt hat?
Vergebliches Hoffen auf Wiederkehr
Bis zuletzt haben Künstler, Intendanten und vor allem das Publikum in aller Welt immer wieder gehofft, Carlos Kleiber doch noch für den einen oder anderen Anlass ans Dirigentenpult zurückzulocken.
Anfragen gab es sogar für den heurigen Salzburger "Rosenkavalier". Nun ist es aber traurige Gewissheit, dass man Carlos Kleiber nie mehr wird erleben können. Was bleibt, ist Erinnerung.
Staatsopern-Ereignis "Rosenkavalier"
Strauss' "Rosenkavalier" unter Carlos Kleiber mit Felicity Lott und Anne Sofie von Otter - das war zweifellos DAS Ereignis der Saison 1993/94 an der Wiener Staatsoper. Und es grenzte fast an ein Wunder, dass der scheue Maestro damals sogar Rundfunk und TV zuließ, ja sogar einer kommerziellen Auswertung des Video-Bandes zustimmte.
Niemand weiß, ob er damals schon geahnt hat, dass es sein definitiver Abschied von der Wiener Staatsoper sein würde, vom großen Opernbetrieb schlechthin. Neben der Strauss-Oper und "Carmen" hat Kleiber in Wien leider nur noch Wagners "Tristan und Isolde" (1973) sowie Puccinis "La Boheme" (1985) dirigiert. Allerdings gibt es von beiden Produktionen keine Tondokumente, zumindest keine offiziellen.
Kein Mann der Kompromisse
Dabei wäre Kleiber wie kaum ein zweiter in der Lage gewesen, dem gigantischen Räderwerk einer fast bedrohlich mächtig gewordenen Event-Industrie entgegenzusteuern, dem Musikbetrieb unserer Zeit seinen individuellen Stempel aufzudrücken.
Wahrscheinlich wurde ihm bewusst, dass er sich dazu in das Medien-Karussel hätte integrieren müssen. Und das hätte zweifellos das Ende seiner Eigenständigkeit bedeutet. Aber Carlos Kleiber nie ein Mann der Kompromisse, keiner, der sich ökonomischen, politischen oder sonstigen Umständen anzupassen bereit gewesen wäre.
Der Vater als Vorbild
Mit dieser Einstellung war er in die Fußstapfen seines Vaters getreten, des einst legendären Berliner Generalmusikdirektors und geborenen Wieners Erich Kleiber. Dessen Kompromisslosigkeit hatte seinerzeit ja auch zur direkten Konfrontation mit dem Nazi-Regime geführt.
In vielen Dingen ist Erich Kleiber damit seinem Sohn Carlos stets Vorbild geblieben. Wenn man auch nicht übersehen darf, dass Vater Kleiber der Dirigentenlaufbahn seines Sohnes lange Zeit äußerst skeptisch gegenübergestanden ist.
Beginn mit "Gasparone"
Seine Feuerprobe hat Carlos Kleiber mit der musikalischen Leitung einer Operette bestanden: Mit Millöckers "Gasparone" 1954 in Potsdam. Was absolut nicht zu unterschätzen ist, denn gerade bei einem Werk dieses Genres ist es doppelt schwer, eine eigene, überzeugende Kontur zu demonstrieren.
Seine Lehrjahre hat Kleiber an der "Deutschen Oper am Rhein" in Düsseldorf verbracht, wo er sich umfangreiche Repertoire-Kenntnisse erwarb. 1966 wurde er schließlich Generalmusikdirektor in Stuttgart. Und was er dort erarbeitete, erweckte bald Aufmerksamkeit in aller Welt. Allerdings hat Kleiber in diesen Jahren auch alle Negativa des Repertoire-Betriebes erfahren. Und diesem auszuweichen wurde schließlich zu seinem Credo.
Geringer Musik-Nachlass
Gemessen an der Bedeutung von Carlos Kleiber ist sein musikalischer Nachlass äußerst gering. Denn seine stete Verweigerung bezog sich ganz besonders auf kommerzielle Studio-Produktionen. Umso mehr bemühte und bemüht sich seit jeher der weiße, graue und schwarze Markt um jedes nur erhaltene Ton-Fetzchen unter seiner Leitung.
So werden natürlich auch Rundfunkaufnahmen aus seinen Anfängen ausgewertet. Eine dieser Raritäten, die sogenannten drei "Bruchstücke für Sopran und Orchester" aus Bergs "Wozzeck", den sein Vater 1925 in Berlin uraufgeführt hatte, aus dem Jahr 1972 mit dem Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester wird u.a. zu hören sein.
Nur wenige Werke im Repertoire
So vielseitig Kleibers Opern- und Operetten-Repertoire in seinen Anfängen auch gewesen sein mag, auf so wenige Werke des Musiktheaters konzentrierte er sich schließlich im Zenit seines Ruhmes. Zum Glück existieren zumindest von diesen wenigen Stücken repräsentative Plattenaufnahmen oder Mitschnitte.
So werden in dieser Sendung Ausschnitte aus fünf klassischen Todesszenen der Opernliteratur zu hören sein: Und zwar aus "Carmen", "La Boheme", "La Traviata" sowie aus "Tristan und Isolde".
Kleibers Lieblingssängerin Cotrubas
Eine der Lieblingskünstlerinnen Kleibers war zweifellos Ileana Cotrubas, die als Mimi und Violetta zu hören sein wird. Diese Wertschätzung gab es natürlich auch ihrerseits, wie man in Cotrubas' Memoiren "Opernwahrheiten", worin sich die Sängerin auch ausführlich mit dem Phänomen Carlos Kleiber auseinandersetzt, nachlesen kann.
Die ursprünglich für diesen Termin geplante Sendung mit Rundfunk-Produktionen von Wolfs "Corregidor", D Alberts "Tiefland" und Max von Schillings "Mona Lisa" wird im kommenden Oktober nachgeholt.
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