Kostet demokratisches Engagement die Freiheit?

Russland: Die Affäre Yukos

Soll der russische Ölkonzern Yukos zerschlagen werden oder reicht seine politische Disziplinierung? Die Gerichtsvollzieher sind am Werk und treiben Steuernachforderungen in Milliarden-Dollar-Höhe ein. Gleichzeitig steht Yukos-Mehrheitseigentümer Michail Chodorkowski vor Gericht.

Der wegen diverser Betrugsdelikte angeklagte russische Großindustrielle Michail Chodorkowski sieht sich als Sündenbock für eine verfehlte Privatisierungspolitik in den 90er Jahren. Er erkenne "plumpe Versuche, ihm die Schuld für Fehler in den Privatisierungsgesetzen jener Jahre in die Schuhe zu schieben", sagte der frühere Chef des Ölkonzerns Yukos am Freitag in Moskau vor Gericht. Chodorkowski drohen bei einer Verurteilung bis zu zehn Jahre Haft im Straflager.

Der nach Schätzungen reichste Russe sowie dessen Geschäftspartner Platon Lebedjew werden beschuldigt, den Staat bei der Privatisierung eines Düngerherstellers sowie eines Agrar-Forschungsinstituts vor zehn Jahren betrogen zu haben. Zudem sollen Chodorkowski und der Yukos-Konzern Steuergelder in Milliardenhöhe veruntreut haben.

Nur ein Steuerproblem?

Auffassungsunterschiede mit dem Finanzamt sind ja keine Seltenheit. Dass jemand aber eine Nachzahlung von 3,4 Milliarden Dollar für das Jahr 2000 leisten soll, zahlbar innerhalb einer Woche, dies lässt auf ein eher gespanntes Verhältnis mit den Behörden schließen.

Betrachten wir die Affäre Yukos zunächst als das, was sie aus der Sicht des Kreml scheinen soll: als Steuerproblem: War es dem russischen Öl-Konzern mit mehr als 100.000 Angestellten wirklich nicht möglich, eine vernünftigere Steuererklärung abzuliefern?

Politische Hintergründe

"Die Steuern von Yukos werden und wurden die ganze Zeit geprüft von lokalen und nationalen Behörden", wehrt sich Hugo Erikssen, der Pressesprecher des Yukos-Konzerns. "Und sie befanden die ganze Zeit, bis zum Oktober des letzten Jahres, dass bei Yukos alles in Ordnung war."

Keine Fristverlängerungen

Zu den Steuerforderungen gibt Erikssen zu bedenken: "Wenn wir diese Steuernachzahlungen machen müssen, wird es sich herausstellen, dass Yukos 2,5 mal mehr Steuern für dieses Jahr zahlen muss, als unsere Kollegen."

Zum politischen Umfeld der Affäre kann und will sich Erikssen nicht äußern, in der Yukos-Zentrale im Herzen Moskaus kämpft man um das wirtschaftliche Überleben des Konzerns.

Was will der Kreml?

Eines der Hauptprobleme der ganzen Affäre dürfte sein, dass der Kreml im Moment selbst nicht zu wissen scheint, was er will: Da soll es im Kreml die geben, die die völlig Zerschlagung des Konzerns fordern - und dann die, die seine Disziplinierung unter Ausschaltung des Mehrheitseigentümers Chodorkowski wollen. Aber Gerüchte ersetzen Information, seit Putin und seine KGB-Mannschaft die Pressefreiheit im Land abgeschafft haben.

Unbestritten im Zentrum der Affäre hingegen steht das politische Engagement von Yukos-Gründer Chodorkowski. Galina Michaljowa, die in der demokratischen Partei Jabloko die politische Lage analysiert, sieht dann auch in den Attacken des Kremls zunächst und vor allem eine Botschaft an alle russischen Wirtschaftstreibenden.

Staat wichtiger als Wirtschaft

"Der Fall Yukos zeigt eindeutig, dass alle, die in diesem Bereich tätig sind, eigentlich keine selbständige Position haben sollen", so Michaljowa. "Wenn es um eine politische Position geht, dann ist das absolut ausgeschlossen. Der Staat ist wichtiger als Business."

Und dabei gehe es nicht nur um Kooperation in den Bereichen Wirtschaft und Politik. Chodorkowski hat ja als erster aus der Reihe der Superreichen oder Oligarchen, wie man sie auch nennt, Universitäten und Menschenrechtsorganisationen unterstützt. Er hat in den entlegenen Regionen Sibiriens Schulen mit Computern ausgerüstet. Aktivitäten, die von den Behörden mit besonderem Misstrauen verfolgt wurden.

Chodorkwoskis politisches Scheitern

Mit dem Versuch, sein Vermögen in politische Macht umzusetzen, ist Chodorkwoski bitter gescheitert. Galina Michaljowa: "Alles, was im Umgebung von Yukos lag, wurde schlicht vernichtet. Das ist ein Exempel für die anderen. Putin hat in seiner letzten Rede ausdrücklich gesagt, es gäbe noch sechs, sieben Unternehmer, die auch verdächtig sind."

Prozess hinter verschlossenen Türen

Die Grundweisheit russischen Wirtschaftens, dass ohne den Kreml gar nichts geht, könnte Michail Chodorkowski seinen Konzern und sein Vermögen kosten. Die Zeit, wo er noch ins Ausland hätte gehen können, ist verstrichen. Der Prozess, der am Montag dieser Woche nach monatelanger Untersuchungshaft endlich begonnen hat, wird hinter verschlossenen Türen geführt. Chodorkowski drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Formal biete der Kreml das Schauspiel eines harten aber gerechten Rechtsstaates. Aber jeder weiß - und die OECD hat es Russland sogar schriftlich gegeben - erleben wir hier einen klaren Fall von hoch selektiver Strafverfolgung. Denn streng nach Gesetz, so die OECD, müssten die russischen Behörden gegen tausende von Unternehmen wegen Steuerhinterziehung ermitteln. Tun sie aber nicht, weil die, im Gegensatz zu Yukos, politisch nicht auffällig wurden.

Bittere Pointe: Yukos war, ehe sich der Staat anschickte, das Unternehmen zu ruinieren, Russlands größter privater Steuerzahler.

Links
Yukos
Steuerschuld: Yukos zahlt - Die Welt
Die Yukos-Affäre - Dossier der Neuen Zürcher Zeitung