Ludwig Feuerbachs anthropologischer Atheismus

"Das Wesen des Christentums"

"Die Menschen sollten an sich selbst glauben und aufhören, Gott als ein von ihnen getrenntes höheres Wesen zu verehren.“ Diese These des Philosophen Ludwig Feuerbach hat 1841 die atheistische Religionskritik stark gemacht und der Theologie wichtige Impulse gegeben.

Der Theologe Hans Joachim Sander zu Feuerbachs Thesen

"Das Geheimnis der Theologie ist die Anthropologie, der Atheismus vielmehr der wahre Humanismus, der Mensch ist des Menschen Gott“.

Zu diesen Schlussfolgerungen kam der Philosoph Ludwig Feuerbach mit seinen Thesen über "Das Wesen des Christentums“ im Jahr 1841. Mit diesen Aussagen hat er die Religionskritik stark gemacht und der Theologie wichtige Impulse gegeben, die Vorstellungen von Gott neu zu überdenken.

Die wahre Religion

"Der Glaube des Menschen an sich selbst ist die wahre Religion. Gott ist nichts anderes als das in die Unendlichkeit des Himmels projizierte Wesen des Menschen. Die Menschen sollten also aufhören, Gott als ein von ihnen getrenntes höheres Wesen zu verehren, sondern sich ihrer eigenen Gattung zuwenden. Die Menschen sollten an sich selbst glauben, statt an ein Spiegelbild ihres eigenen Wesens. Der Zwiespalt zwischen Diesseits und Jenseits muss aufgehoben werden, damit sich die Menschen auf das Jetzt, auf das Leben in der Welt mit allen Sinnen konzentrieren können.“

In Feuerbachs Thesen steht das Hier und Jetzt, die Gegenwart der leibhaftigen Erfahrung im Vordergrund, nicht das begriffliche Denken. Das Jenseits der Theologen hat für ihn in einer Welt der leiblichen Erfahrung keinen Ort.: "Wer das Leben ins Jenseits verschiebt, versäumt das Leben im Diesseits und ignoriert den Tod. Dieser Traum von Unsterblichkeit ist eine Form des Egoismus“, schrieb Feuerbach.

Der heutige Glaube an Unsterblichkeit

Der Glaube an die individuelle Unsterblichkeit hat heute eine neue Gestalt angenommen. Man glaubt an Wiedergeburt und verschiebt das wahre Leben in die nächste Reinkarnation. Dazu braucht man dann nicht einmal mehr einen Gott, und der konkrete Mensch, das Leben hier und jetzt verflüchtigt sich. Aber genau das hat Feuerbach kritisiert.

Gott als Projektion des Menschen

In den Religionsbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts findet sich Gott als der alte Mann mit langem weißen Bart, der über den Himmeln thront, manchmal väterlich und gütig, meist aber eher zornig wirkt. Dieses Bild hat sich in die Vorstellungswelt und ins Unbewusste vieler Menschen eingraviert. Doch ist das Gott? "Nein“, sagt Ludwig Feuerbach:

„Das ist nur eine Projektion des Menschen. Ich negiere Gott, das heißt bei mir, ich setze an die Stelle der illusorischen, fantastischen, himmlischen Position des Menschen die sinnliche, wirkliche, folglich notwendig auch politische und soziale Position des Menschen. Die Frage nach dem Sein und Nicht-Sein Gottes ist bei mir eben nur die Frage nach dem Sein oder Nichtsein des Menschen.“

Zeige mir deinen Gott, und ich sage dir, wer du bist. So könnte man Feuerbachs These interpretieren. Alles, was wir über Gott sagen, sagen wir auch über uns selbst. In den Kathechismen wurden die Eigenschaften Gottes aufgezählt: da hieß es, Gott ist allmächtig, allwissend, allgegenwärtig, u. s. w.: All dies sind menschliche Fähigkeiten, ins Unendliche projiziert.

Reaktionen aus dem 20. und 21. Jahrhundert

Über Jahrhunderte hinweg haben sich die Theologen in metaphysischen Spitzfindigkeiten verloren. Der Atheismus Feuerbachs ist da eine gute Medizin gewesen.

Karl Rahner, der große katholische Theologe des 20. Jahrhundert war der gleichen Meinung wie Ludwig Feuerbach, der große atheistische Denker des 19. Jahrhunderts. Und heute? Was wurde anlässlich des 200. Geburtstages von Ludwig Feuerbach aus diesen Vorstellungen?

"Der Atheismus ist ein Heilmittel für eine ganze Reihe Gottesbilder," sagt der bedeutende Religionsphilosoph und Theologe Raimon Panikkar zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Hans Joachim Sander, Theologieprofessor in Salzburg, hält Feuerbachs Kritik am Christentum weder für falsch noch für gefährlich, sondern im Gegenteil für unverzichtbar.

"Nicht das Denken und die Begriffe, sondern das, was ein Mensch am eigenen Leib erfährt, ist das Unmittelbare," meint Hans Heinz Holz, emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Groningen.

"Gott ist kein Ding - Gott lebt in der Beziehung zum Menschen und umgekehrt. Die Menschwerdung Gottes ist die Besonderheit des Christentums“, so der Salzburger Theologe und Philosoph Clemens Sedmak.

"Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde"

Diese Aussage hätte Ludwig Feuerbach anno dazumal wahrscheinlich gefallen. Denn in den Menschen liegt eine tiefe Sehnsucht danach, göttlich zu werden - und sei es auch nur, göttlich zu essen oder göttlich zu wohnen u. s. w... das Göttliche ist dem Menschen nicht auszutreiben.

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Ludwig Feuerbach-Gesellschaft Nürnberg