Tierleid im Krieg

Der Krieg und die Kröte

Timothy Findleys Buch, 1977 erstmals erschienen und jetzt wieder aufgelegt, ist kein Antikriegsroman - auch wenn es mit diesem Etikett beworben wird. Es geht um die Rolle des Menschen innerhalb der Welt alles Lebendigen, der Erste Weltkrieg bildet den Hintergrund.

Westfront, 1915. Die Schrecken des Krieges haben durch den Einsatz von Flammenwerfern eine weitere grässliche Steigerung erhalten. Mitten in diesem Inferno will ein junger kanadischer Soldat ein paar Pferde in Sicherheit bringen und wird durch diese nicht genehmigte Aktion zum Kriegsverbrecher.

Der Major stellte seine Forderung: Robert sollte sich und die Pferde ausliefern - die Waffe wegwerfen und sich freiwillig stellen. Er versprach, diese "freiwillige Übergabe" zu seinen Gunsten vor der Militärpolizei anzuführen. Robert weigerte sich.

Was hat den 19-jährigen Robert Ross zu dieser ebenso couragierten wie wahnsinnigen Tat, die ihm letztlich das Leben kostet, bewogen? Dieser Frage geht der Erzähler in Timothy Findleys Roman nach. Rund 60 Jahre nach den Ereignissen - so die Fiktion - spricht er mit Zeitzeugen, durchforstet Archive und studiert die Briefe, die Robert von der Front nach Hause schickte.

Die vielen großen und kleinen Auseinandersetzungen

Aus der Verquickung der verschiedenen Erzählebenen entsteht eine packende, aber auch sehr beklemmende Geschichte. Diese ist bereits 1977 erstmals in Kanada erschienen und war für den vor zwei Jahren verstorbenen Findley (der heute als einer der bedeutendsten kanadischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts gilt) der erste große literarische Erfolg - auch auf internationaler Ebene. Schon 1978 kam auch die deutsche - nun wiederaufgelegte - Übersetzung heraus. Sie stammt von Annemarie Böll (der Ehefrau des Schriftstellers Heinrich Böll).

Findley ging es nicht darum, einen Roman über den Ersten Weltkrieg zu schreiben, es ging ihm nicht um eine einzelne militärische Auseinandersetzung, sondern vielmehr um die vielen großen und kleinen - aber stets auf ihre Weise überaus grausamen - Kriege, die von den Menschen auf den verschiedensten Ebenen gegeneinander geführt werden: von Hass und Aggression innerhalb der Familie über sexuelle Gewalt bis zur brutalen psychischen und physischen Ausbeutung.

Steigerung der stets gleichen Konstellation

Der Erste Weltkrieg bildet für all das zwar den geschichtlichen Hintergrund, aber weder der Erzähler noch seine Hauptperson beziehen zu den historischen Entwicklungen konkret Stellung, politische Aussagen fehlen. Robert Ross zieht nicht aus militärischer Begeisterung oder patriotischen Gefühlen in den Krieg, sondern weil er den tödlichen Unfall seiner geliebten Schwester nicht verkraftet. Er muss weg von zuhause - denn er kann es seinen Eltern nicht verzeihen, dass sie gleich nach dem Tod des Mädchens auch dessen zehn Kaninchen töten ließen.

Die weiteren Ereignisse stellen eine dramatische, für Robert schließlich unerträglich werdende Steigerung der stets gleichen Konstellation dar: Aggression, die sich gezielt gegen Tiere richtet, menschlicher Vernichtungstrieb, unter dem vor allem die unschuldige und wehrlose Kreatur zu leiden hat.

Als sei dies das Stichwort gewesen, barsten drei Granaten hintereinander. Die Ställe waren ein Haufen brennender Trümmer. Die Pferde und Maultiere waren alle entweder tot oder am Verenden. Roberts Zorn wurde so gewaltig, dass er glaubte, er werde wahnsinnig. Er dachte: Wenn ein Tier dies getan hätte, würden wir es als tollwütig bezeichnen und es erschießen.

Kein Antikriegsroman

Timothy Findleys Buch ist kein Antikriegsroman - auch wenn es mit diesem Etikett beworben wird. Es ist ein Werk, in dem es um die Rolle des Menschen innerhalb der Welt alles Lebendigen geht. Das Resümee ist bedrückend: Der Mensch erweist sich als die schlimmste Bestie - alle Versuche, dagegen aufzutreten, scheinen vergebens zu sein. Und das einzige Tier, das Robert retten kann, ist eine hässliche, alte Kröte.

Buch-Tipp
Timothy Findley, "Der Krieg und die Kröte", ins Deutsche übersetzt von Annemarie Böll, Claassen Verlag, ISBN: 3546002059