Der führende Tenor Neu-Bayreuths

Einer, der sich und seiner Stimme treu blieb

Er war der führende Tenor von Neu-Bayreuth: Wolfgang Windgassen. Mit seiner Intelligenz und Natürlichkeit führte er zwei Jahrzehnte alle Debatten über die wahren Wagner-Tenöre ad absurdum. Vor 30 Jahren starb der international gefeierte Heldentenor.

War es zu Richard Wagners Lebzeiten keine Frage, ob eine Sängerin sowohl die Königin der Nacht wie auch die Isolde singen konnte, so wundern sich heute manche, wenn z. B. ein Tenor wie Thomas Moser plötzlich und mit fast 60 größten Erfolg als Tristan hat, obwohl wir ihn doch noch als Tamino oder Don Ottavio gehört haben.

Für Wolfgang Windgassen, den führenden Tenor von Neu-Bayreuth, waren das alles keine Kriterien: Als er mit 37 seinen ersten Tristan sang, war er selbstverständlich auch weiterhin ebenso als "Rigoletto"-Herzog oder Cavaradossi zu hören.

90. Geburtstag, 30. Todestag

Am 26. Juni, also vergangenen Samstag, wäre Wolfgang Windgassen 90 Jahre alt geworden. Am 9. September 1974, also bald nach seinem 60er, ist er völlig unerwartet in Stuttgart gestorben, mitten heraus aus seiner Tätigkeit als Direktor am dortigen Opernhaus, wo er fallweise aber immer auch noch in seinen großen Rollen aufgetreten ist.

Tristan und Tamino

Und als er ausgerechnet hier bei uns in Wien am 14. Juni 1959 seinen 100. Tristan verkörperte, war es für ihn geradezu selbstverständlich, Jahre später an der Staatsoper auch wieder den Tamino zu singen. Wolfgang Windgassen, der vergangenen Samstag 90 Jahre alt geworden wäre und dessen Todestag sich im September bereits zum 30. Mal jähren wird, führte mehr als zwei Jahrzehnte lang alle Diskussionen über die wahren Wagner-Helden eigentlich ad absurdum:

Mit Intelligenz, Natürlichkeit - und in erster Linie dadurch, sich selbst und seiner Stimme stets treu zu bleiben. Im Bayreuther Festspiel-Sommer 1953 sang Windgassen unter Joseph Keilberth seinen ersten "Lohengrin". Es war damals ein mehr als ereignisreicher Festspielsommer für ihn: Ebenso sang er zum ersten Mal in Bayreuth auch die beiden Siegfriede, die er erst wenige Monate davor in Neapel ausprobiert hatte, kurz nach seinem 50. "Lohengrin", der an der "Scala" gesungen hatte.

Professionell organisierte Karriere

Die Karriere Windgassens war äußerst professionell organisiert, genau eingeteilt - wie er es auch der Bühne stets meisterhaft verstanden hat, mit seinen Mitteln hauszuhalten. Sein ursprünglicher Berufswunsch, nämlich Filmschauspieler zu werden, stieß bei seinem Vater, dem Tenor Fritz Windgassen, nicht gerade auf begeisterte Zustimmung gestoßen.

Zuerst sollte sein Sohn "etwas Ordentliches" lernen. Dass dies auch in Verbindung mit dem Theater möglich sein konnte, sollte Vater und Sohn gleichermaßen recht sein. Und so begann Wolfgang Windgassens Karriere schließlich an der Stuttgarter Oper: Zunächst als Assistent für Bühnentechnik sowie im Verwaltungsdienst. Er lernte also den gesamten Theaterbetrieb von der Pieke auf kennen. Was ihm in späteren Jahren als Direktor des Hauses sicher sehr genützt hat.

Heimlicher Gesangsunterricht

Nebenbei und vorerst ohne Wissen des Vaters aber nahm er damals auch schon Gesangsunterricht, bis schließlich sein Vater selbst die Ausbildung in die Hand nahm. Immerhin war Fritz Windgassen ja nicht nur lange Jahre der Erste Tenor der Stuttgarter Oper, sondern hat ebenso als Professor an der dortigen Musikhochschule gewirkt.

Debüt 1941 mit Verdi

Die ersten Karrierejahre Windgassens waren vom Zweiten Weltkrieg überschattet - und so konnte er bereits das erste Engagement gar nicht antreten. Später erhielt er eine Ausnahmegenehmigung, was im Extremfall eine Aufteilung zwischen Militär und Oper bedeutete.

Am Tag bildete er als Zugsführer Rekruten aus, am Abend stand er auf der Bühne. Sein offizielles Debüt war schließlich der Alvaro in Verdis "Macht des Schicksals" 1941 in Pforzheim. Doch gleich nach Kriegsende ist Wolfgang Windgassen wieder an dem für ihn so wichtigem Opernhaus von Stuttgart, wo sich der einstige Bühnenassistent nun als Tenor für bereits größere Aufgaben empfiehlt: Hoffmann, Florestan und Stolzing.

Windgassen und Neu-Bayreuth

Bayreuth, das kann man ohne Übertreibung sagen, war in gewisser Weise auch das ganz große Los von Wolfgang Windgassen. Schon bei der Wiedereröffnung, 1951, war er als Froh und Parsifal mit dabei. Neu-Bayreuth hat ihn geprägt, aber auch er hat diese Ära der Wagner-Brüder Wieland und Wolfgang mitgeprägt. Und mit ihm Sängerpersönlichkeiten wie Greindl und Hotter oder die Varnay oder Martha Mödl.

Gleichzeitig mit seinem "Parsifal"-Debüt 1951 wurde aber auch die internationale Opernwelt und mit ihr die Medien auf Wolfgang Windgassen aufmerksam.

Von Wagner dominierte Diskografie

Der akustische Nachlass Windgassens ist im Gegensatz zu seinem Bühnen-Repertoire, das an die 70 Partien beinhaltete, vom "Postillion von Lonjumeau" bis zum Don Jose und vom Linkerton bis zum Sou Chong, doch von nahezu hundertprozentiger Wagner-Dominanz geprägt.

Einige absolute Raritäten aus den 50er Jahren finden sich jedoch im Archiv des Südwestrundfunks und seit einiger Zeit auch auf einer interessanten CD des rührigen Mini-Labels "Urcant". So werden in dieser Ausgabe zwei Ausschnitte aus Frühwerken der beiden Antipoden Richard Strauss und Hans Pfitzner zu hören sein: Und zwar aus "Guntram" sowie aus "Die Rose vom Liebesgarten".