Das "neue amerikanische Jahrhundert" kritisch betrachtet
Die Vorherrschaft der USA - eine Seifenblase
Ob man George Soros' aktuelles Buch als Erfolg bezeichnen kann, wird sich erst zeigen, wenn der neue Präsident der USA gewählt ist. Der Milliardär hat es sich zum Ziel gesetzt, jeden nur möglichen Beitrag zu leisten, damit George W. Bush abgewählt wird.
8. April 2017, 21:58
Für George Soros bildet der 11. September einen Wendepunkt in der Politik der USA. Und zwar nicht das Ereignis an sich, sondern die Art, wie die Bush-Administration darauf regiert hat. Statt eine nationale Selbstbesinnung über Amerikas Rolle in der Welt einzuleiten, hat die Regierung den "Krieg gegen den Terrorismus" ausgerufen.
"Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert"
Die Ideologie, die dieser Reaktion zugrunde lag, hatte eine neokonservative Denkfabrik, das "Projekt für ein neues amerikanisches Jahrhundert" bereits einige Jahre zuvor formuliert. Die wichtigsten Vertreter der jetzigen Regierung gehören dieser Denkfabrik an und ihre wichtigsten Prinzipien fasst Soros so zusammen:
Die internationalen Beziehungen sind Machtbeziehungen, die Macht ist das bestimmende Element, und das Recht legitimiert den jeweils herrschenden Zustand. Die Vereinigten Staaten sind unbestritten die dominierende Macht in der Weltordnung, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges herausbildete. Deshalb sind die USA in einer Position, die es ihnen ermöglicht, ihre Sichtweisen, Interessen und Werte der Welt aufzuzwingen. Die Welt kann daraus Nutzen ziehen, wenn sie die amerikanischen Werte übernimmt, denn das amerikanische Modell hat sich als überlegen erwiesen. Unter den vorhergehenden Regierungen haben es die USA versäumt, ihr Machtpotenzial voll auszuschöpfen. Dies muss korrigiert werden. Die Vereinigten Staaten müssen ihre Hegemonie in der Welt stärken.
Primitiver Sozialdarwinismus
Die daraus abgeleitete Bush-Doktrin besagt erstens, dass die USA alles unternehmen werden, um ihre unangefochtene militärische Überlegenheit zu bewahren, und zweitens dass die USA das Recht haben, präventiv zu handeln.
Für George Soros ist diese neokonservative Ideologie eine primitive Spielart des Sozialdarwinismus, die sowohl in den internationalen Beziehungen als auch in der Wirtschaft zum Ausdruck kommt.
Vom Opfer zum Täter
Wie sich in einem ungeregelten Markt Seifenblasen bilden, und platzen, wenn sie zur groß werden, so fürchtet Soros, könnte auch das Vormachtstreben der USA mit einem Knall enden. Im Krieg gegen den Terrorismus haben sich die USA seit dem 11. September schon jetzt vom Opfer zum Täter gewandelt:
Seither hat der Krieg gegen den Terror in Afghanistan und im Irak mehr unschuldige Opfer gefordert als die Anschläge auf das World Trade Center. Dieser Vergleich wird in den USA nur selten angestellt: Das Leben von Amerikanern wird anders bewertet als das Leben von Ausländern, doch die Menschen in anderen Teilen der Welt werden sich dieser Bewertung wohl kaum anschließen.
Insider-Perspektiven fehlen
Der Terrorismus, so ist George Soros überzeugt, lässt sich nur mir Detektivarbeit, guten Nachrichtendiensten und der Unterstützung der Bevölkerung eindämmen, jedoch nicht mit militärischen Mitteln.
Diese kritische Bestandsaufnahme bildet den ersten Teil des Buches. Während Soros' frühere Bücher einen gewissen Charme aufwiesen, da er darin das bestehende Wirtschaftssystem kritisierte, das er selbst genützt hat, um sein Vermögen zu verdienen, fehlt im neuen Buch die Perspektive des Insiders. Einem aufmerksamen Zeitungsleser sind sämtliche Informationen bereits bekannt.
G8 & D6
Im zweiten Teil stellt Soros seine konstruktive Vision vor, die sich in weiten Teilen wie eine Proseminararbeit in internationaler Politik liest. Er plädiert für einen multilateralen Ansatz und regt an, dass sich neben den G8, den wichtigsten Industrieländern, auch die sechs wichtigsten Entwicklungsländer, nämlich Brasilien, Mexiko, Indien, Indonesien, Nigeria und Südafrika zu einer Gruppe zusammenschließen sollen, der D6.
Die D6-Mitglieder könnten mit den G8-Staaten auf gleicher Augenhöhe verkehren. Dies wäre ein erster Schritt zur Verminderung der Ungleichheit zwischen Zentrum und Peripherie und zur Etablierung einer gerechteren Weltordnung.
Zutiefst beruhigend
Fazit: Es wäre übertrieben zu behaupten, dass man in Georges Soros' Buch viel Neues erfährt, aber ganz abraten kann man davon dennoch nicht. Als Schlafmittel z.B. ist es sehr gut geeignet. Einerseits ist der Psychohygiene durchaus förderlich, sich bekannte Tatsachen in geordneter Form erneut vor Augen zu führen; vor allem aber hat die Erkenntnis, dass ein amerikanischer Milliardär die US-Politik ähnlich einschätzt wie der Großteil der Europäer etwas zutiefst Beruhigendes.
Buch-Tipp
George Soros, "Die Vorherrschaft der USA - eine Seifenblase", aus dem Amerikanischen von Hans Freundl und Norbert Juraschitz, Blessing Verlag 2004, ISBN: 389667255X