Die Ausstellung "Kunst Stoff"

Textilkunst als Mutter aller Künste?

"Kunst Stoff" ist der Titel einer Ausstellung in der Wiener "Galerie Nächst St. Stephan". Dabei werfen die Kuratorinnen der Schau die provokante Frage auf: Ist die Textil-Kunst vielleicht gar die Mutter aller Künste - und nicht die Malerei, wie gemeinhin angenommen?

Elisabeth von Samsonow über das Gitter als Bild-Sujet

"Kunst Stoff" ist der Titel einer Ausstellung, die am Donnerstag in der Galerie Nächst St. Stephan in Wien eröffnet wird. Wobei sich das Wortspiel Kunst-Stoff nicht auf artifizielle Stoffe bezieht, sondern auf die Kunst des Stoffe-Machens. Denn die Ausstellung führt die Bedeutung des Textilen in der Zeitgenössischen Kunst der letzten 20 Jahre vor Augen und ehrt durch die Miteinbeziehung historischer Stoffe gleichzeitig die Textilkunst als eine der ältesten Künste überhaupt.

Die beiden Kuratorinnen der Ausstellung, Rosemarie Schwarzwälder und Elisabeth von Samsonow, werfen mit dieser Schau die provokante Frage auf: Ist die Textilkunst vielleicht gar die Mutter aller Künste - und nicht die Malerei, wie gemeinhin angenommen wird?

Kleider - Käfige für den Körper

Im ersten Raum thront eine ungewöhnliche Skulptur auf einem Sockel - wie eine Statue aus dem 19. Jahrhundert. Es ist ein riesiger Stoffballen, ausgestopft mit Schaumgummi. Ein krakenartiger Torso, aus dem Arme und Beine herabzuhängen scheinen. Gleich dahinter entdeckt man eine Wollskulptur von Rosemarie Trockel, die wie ein schlafender Hund am Boden liegt. In einem weiteren Raum findet sich eine vom Boden bis zur Decke verspanntes Kleidartiges Gittergebilde aus rotem Samt von der Künstlerin Gudrun Kampl.

"Es geht hier um ein Andernkleid aus Samt, es ist ein Käfig für den Körper. Denn Kleider stellen immer auch einen Körper dar, weil man immer an einen Körper denkt, wenn man ein Kleidungsstück sieht. Es gibt immer eine Geschlechtlichkeit in der Kunst von Kleidern. Wobei es immer darum geht, dass zusammengefaltete Kleider den Tod symbolisieren", erklärt Elisabeth von Samsonow.

Das Urkreuz

Bei vielen der Kunstwerke, wie bei den in vielen Schichten genähten Bildern von Tall R., den Streifenstoffen bei den Kisschen von Louise Bourgeois oder bei den zusammengenähten Herrentaschentüchern von Cosima von Bonin geht es um eine Kreuzung von Elementarlinien.

Laut Elisabeth von Samsonow, die an der Akademie der bildenden Künste unterrichtet, ist das das Urkreuz der Fadenkreuze, das in der Bildenden Kunst als Gitter Furore gemacht hat: "Das Gitter spielt in der abstrakten amerikanischen Malerei eine elementare Rolle und hat natürlich auch die europäische Kunst beeinflusst."

Textil-Kunst - die Mutter aller Künste?

Schon der Architekt Gottfried Semper, dessen 200. Geburtstag im Vorjahr gefeiert wurde, meinte, dass die "textilen Künste vorauszuschicken seien". Daraus stellen die Ausstellungs-Macherinnen die sehr provokante These in den Raum stellen: Die Textil-Kunst sei die Mutter aller Künste. Eines ist sicher: Die alten Textilien, die Galeristin Rosemarie Schwarzwälder auf ihren Reisen gesammelt hat, um sie nun der Gegenwartskunst gegenüberzustellen, wurden von unseren Ahnen zu rituellen Zwecken verwendet.

"So sind Kaitaks z. B. Textilien, die besonderen rituellen Status haben. Sie wurden von einer Generation zur anderen vererbt. Man legte sie umgedreht auf das Gesicht der Toten und bedeckte damit die Neugeborenen. Es ist sozusagen die Hand der Ahnen, die von einer Hand zur anderen geht und ein Primär-Touch ist. Es geht hier viel um primäre Berührung, die im Stoff inkarniert ist", so Rosemarie Schwarzwälder.

Kim Sooja, koreanische "needlewoman"

In der Textilkunst wird der gemalte Strich durch den Nadelstich gesetzt. So bezeichnet sich etwa die Koreanische Künstlerin Kim Sooja, die immer wieder mit traditionellen koreanischen Stoffen arbeitet, als "needlewoman". Für sie, wie für viele andere Künstlerinnen, bedeutet der Fadenstich ein magisches Tun.

Dazu erklärt Elisabeth von Samsonov: "Die vielen Stiche spielen eine Rolle. So ist ein Quilt, ich weiß nicht, wie viele Tausend Stiche der hat, dermaßen durch die Person geladen, die ihn gemacht hat. Das Textil ist eben ein Medium, das sich anreichern lässt."

Weibliches, formbares Material

Obwohl Textilien schon bei den Konstruktivisten und in der "Wiener Werkstätte" eine große Rolle spielten, galt dieses Material immer als weiblich, als formbar, gefühlsbetont und damit - bis in die 60er Jahre - als irgendwie minderwertig. Elisabeth von Samsonow hebt besonders die sinnliche Komponente von Stoffen und Kleidung hervor, die speziell von Frauen wie eine zweite Haut getragen werden:

"Ist das voluminöse Textil dann gleich ein Körper - ist er fetischisierbar? Liebe ich nur Samt und Seide, oder kann es auch Baumwolle sein? Die Gefühls-Konnotation, die Stoffe haben - sie kommen aus Schlitzen, Hosentaschen, in die man hineingreifen kann, Innenansichten von Futter - wie Kleider Körper repräsentieren können, ist insofern sehr wichtig."

Tall R. als einziger männlicher Vertreter

Heute werden Textilien auch gerne von Männern verwendet, obwohl der Künstler Tall R. der einzige ist, der in dieser Schau, die die "Galerie Nächst St. Stephan" in ein ungewöhnlich sinnliches Ambiente verwandelt, die männliche Hemisphäre vertritt.

Ausstellungs-Tipp
"Kunst Stoff", Galerie nächst St. Stephan, 5. März bis 8. April.

Link
Galerie Nächst St. Stephan