Ein Festival "im Ausnahmezustand"

Diagonale startet mit "Antares"

Die Selbstorganisation heimischer Filmemacher, als Gegenbewegung zu den Plänen der "offiziellen" Festivalmacher Vuckovic/Fuchs entstanden, trägt Früchte: Die "Diagonale 2004", ein Festival "im Ausnahmezustand", startet heute in Graz mit Götz Spielmanns "Antares" .

Am 17. Dezember des Vorjahres wurde das heurige Filmfestival "Diagonale" abgesagt. Dass sich vier Grazer Lichtspieltheater bereits seit Tagen in auffälligem Rot als Festival-Kinos der "Diagonale 2004" präsentieren, ist dennoch kein Widerspruch. Denn die Selbstorganisation der heimischen Filmemacher, als Gegenbewegung zu den Plänen der mit Bundesmittel unterstützten "offiziellen" Festivalmacher Miroljub Vuckovic und Tillmann Fuchs ins Leben gerufen, hat sichtbare Früchte getragen:

Am Mittwoch startet mit dem Spielfilm "Antares" von Götz Spielmann ein zwar verkürztes und nur über die Hälfte der früheren Budgets verfügendes, dafür umso selbstbewussteres "Diagonale"-Festival.

Einzigartige Solidarität

Der Festival-Trailer zeigt lachende heimische Filmemacher. Tatsächlich ist es ein Vorgang ohnegleichen: Erstmals haben heimische Künstler, denen ansonsten meist heftige Zerstrittenheit nachgesagt wird, sich nicht nur nahezu geschlossen ihnen nicht sinnvoll erscheinenden offiziellen Plänen verweigert und diese dadurch zum Scheitern gebracht, sondern auch aktiv eine Alternative organisiert.

Herausgekommen ist eine "Diagonale im Ausnahmezustand" (Koordinator Alexander Dumreicher-Ivanceanu), die zwar über jede Menge freiwilliger Leistungen des Festival-Teams, über Sponsorengelder, Landes- und Stadtförderungen (von der Steiermark, Graz und Wien), nicht jedoch über Bundes-Subventionen verfügt.

Alle Genres und Formate vertreten

170 Filme - davon 119 aktuelle Arbeiten aus Österreich, wovon 66 österreichische Erstaufführungen sind - stehen auf dem Programm, das zwei Tage kürzer ist als gewohnt. Die diesjährige Diagonale soll laut Organisatoren "noch diskursiver und selbstreflexiver" werden als frühere Ausgaben.

Vertreten sind alle Genres und Formate, vom 35-Sekunden-Kurzfilm "Prätenziöser Scheißdreck" bis zur 13-stündigen, siebenteiligen Video-Doku "Vergessene Opfer" über Opfer des Nationalsozialismus. Bei den Lang-Spielfilmen gibt es neben der "Antares"-Premiere eine ausführliche Übersicht über die heimische Jahresproduktion. Sie reicht von den fast gleichzeitig regulär im Kino startenden "Nacktschnecken" von Michael Glawogger über internationalen Festivalstreifen wie "Struggle", "Wolfzeit", "Jesus, du weißt", "Böse Zellen" und "Hurensohn" bis zu "MA 2412 - Die Staatsdiener" und "Der Bockerer IV - Prager Frühling".

Sonderprogramm

Als Sonderprogramm läuft u.a. ein Tribute an den serbischen Filmemacher Goran Markovic. In der Schiene "Film und Geschichte" präsentieren das "Filmarchiv Austria" und das "Österreichische Filmmuseum" ein Programm zum österreichischen Kino 1918/1919. Neben einer Reihe von Diskussionen und Nebenprogrammen gibt es auch einen literarisch-musikalischen Rahmen mit Lesungen von Kurt Palm und Gabriel Loidolt ("Hurensohn") sowie eine Arbeitstagung zur heimischen Filmmusik.

Keine Teilnahme Moraks

Kunststaatssekretär Franz Morak (ÖVP) wird nicht nach Graz anreisen. Bis Mittwoch besucht er laut ÖVP-Terminvorschau die informelle EU-Kulturministertagung in Dublin, am Freitag nimmt er an der Wiedereröffnung der Gloriette in Eisenstadt teil und am Sonntag verleiht Morak in der Staatsoper eine Ehrenmitgliedschaft des Hauses.

Zwei Mal als "Gegenfestival" gegründet

Die "Diagonale", die Werkschau des österreichischen Films, wurde vor elf Jahren, 1993, vom damaligen Kunstminister Rudolf Scholten (SPÖ) ebenfalls als Gegenfestival - damals zu den in Wels veranstalteten "Österreichischen Film Tagen" - ins Leben gerufen.

Scholten hatte 1992 den privat organisierten Filmtagen, die seit 1977 (in den Anfangsjahren in Velden und Kapfenberg, seit 1984 in Wels) abgehalten wurden, aufgehängt an einer Affäre um eine SS-Gedenktafel in Wels die Subventionen entzogen und ein neues Konzept eingefordert. Dabei setzten sich die vom "Österreichischen Regieverband" beauftragten Journalisten Joachim Riedl und Martin Schweighofer durch.

Erste "Diagonale" in Salzburg

Die erste Ausgabe der "Diagonale" fand 1993 in Salzburg statt. Die Organisation lief über die "Austrian Film Commission" (AFC). Schweighofer als AFC-Geschäftsführer hatte die Gesamtleitung des Projekts über.

Erster für zwei Jahre bestellter künstlerischer Leiter wurde der Experimentalfilmer Peter Tscherkassky. Der danach für 1995 und 1996 als "Diagonale"-Intendant bestellte damalige ORF-"Kunststücke"-Leiter Heinrich Mis trat bereits nach seiner ersten Saison wegen von ihm beklagter, die Leitungskompetenz betreffender Unklarheiten zurück.

1998 Übersiedlung nach Graz

Die "Österreichischen Film Tage" fanden 1996 unter dem Namen "Film Fest Wels" zum letzten Mal statt. Für die "Diagonale" hingegen wurde eine neue Leitung ausgeschrieben, nach zweijähriger Pause übersiedelte das Festival 1998 unter der neuen Doppelintendanz von Constantin Wulff und Christine Dollhofer nach Graz.

Als Trägerverein des Festivals wurde das "Forum Österreichischer Film" gegründet, den Namen "Diagonale" stellte die AFC dem Kunstministerium zur weiteren Verwendung für das Festival zur Verfügung.

Heftige Reibungen im "Wende"-Jahr 2000

Erste heftige Reibungen zwischen neuer Festival-Leitung und politischen Verantwortlichen wurden im "Wende"-Jahr 2000 ausgetragen. Eine im Katalog veröffentlichte Protesterklärung gegen die schwarz-blaue Regierung und eine filmische "Widerstands"-Leiste führten zur Zurückstellung der Finanzierung des "Großen Diagonale-Preises" (damals umgerechnet 11.628 Euro) durch steirische Landesregierung mit den Stimmen von FPÖ und ÖVP. Erst nach Ende des Festivals und gegen die Stimmen der FPÖ wurde das Preisgeld nachträglich doch beschlossen.

Vuckovic/Fuchs als neue Leiter designiert

Dollhofer und Wulff wurden 2001 von Morak für weitere zwei Jahre bestellt. Wulff kündigte im Sommer 2002 seinen Ausstieg an, Dollhofer stand bis vergangenen März für eine neuerliche Verlängerung zur Verfügung.

Knapp vor Beginn der heurigen Auflage des Festivals allerdings gab das Kunst-Staatssekretariat die Neuausschreibung von Festivalleitung und Geschäftsführung ab 2004 bekannt. Im Mai 2003 schließlich wurden der Belgrader Festival- und Filminstitutsleiter Miroljub Vuckovic als künstlerischer und Ex-ATV-Chef Tillmann Fuchs als kaufmännischer Intendant designiert.

Proteste und "originale Diagonale"

Auf die Bestellung reagierte die heimische Filmszene mit Protesten, die Filmschaffenden distanzierten sich von dem Festival. Nach monatelang gescheiterten Versuchen der Einigung initiierte das "Forum Österreichischer Film", das schon in den vergangenen Jahren das Festival ausgerichtet hatte, ein eigenes Festival.

Und zwar nicht als Gegenveranstaltung, sondern als "originale Diagonale" (im Gegensatz zu der laut Szene-Diktum "Morakonale"). Deren Beirat gehören Ruth Beckermann, Cornelia Köndgen, Lisl Ponger, Ulrich Seidl und Petrus van der Let an. Am 17. Dezember wurde schließlich der Rücktritt des Leitungsteams Vuckovic/Fuchs bekannt gegeben. Die Mittel des Bundes erhält die "originale Diagonale" 2004 allerdings nicht. Ab dem Jahr 2005 will der Verein "Forum österreichischer Film" die Intendanz für die "Diagonale" ausschreiben.

Mehr zur "Diagonale 2004" in Ö1 Inforadio und in fm4.ORF.at

Mehr zum Rahmenprogramm der Diagonale in Ö1 Inforadio

Tipp
Ö1 Club-Mitglieder erhalten 15 Prozent Ermäßigung auf die Eintrittskarten. Im Rahmen der Reihe "Club Exklusiv" wurde für Ö1 Clubmitglieder eine Diskussion mit Vertretern der Diagonale im Anschluss an den Eröffnungsfilm und den Empfang bei Landeshauptfrau Waltraud Klasnic und Bürgermeister Siegfried Nagl organisiert.

Links
Diagonale
Club Exklusiv