Warmherziger Rückblick

Pflege als Begegnung

Mehr als die Hälfte ihres Lebens hat die heute 84-jährige Lisbeth Ascher als Krankenschwester gearbeitet. Über die Kraft, die sie daraus bezogen hat, schrieb sie in ihrem Buch "Pflege als Begegnung".

Lisbeth Ascher zieht eine ermutigende Bilanz ihres Lebens

Ein Leben als Krankenschwester, als Pflegerin, ein Leben im Dienste anderer, das lebte die heute 84-jährige Lisbeth Ascher. Viel Schmerz, viel Leid hat sie in all diesen Jahren erlebt, sie hat viele Sterbende bis zuletzt begleitet. Ein Friedrich-Hebbel-Zitat ist ihrem Buch "Pflege als Begegnung" voran gestellt.

"Das Leben ist nicht etwas - es ist die Gelegenheit zu etwas"

Darin erzählt sie nicht nur ihre eigene Lebensgeschichte, sie reflektiert immer wieder auch ihre Arbeit mit den Patienten, ihr eigenes Verhalten am Krankenbett.

"Die richtige Pflege ist ein wesentlicher Heilfaktor zur Bewältigung von Krankheit und Leid", sagt Lisbeth Ascher, und ergänzt, "Die Patienten waren meine geduldigen Lehrmeister." So hat sie ihr Buch auch ihren Patienten gewidmet.

Ein gutes Erwachen

So überschreibt Lisbeth Ascher ihre Erinnerungen an die Kinder- und Jugendzeit. 1920 wurde sie in Knittelfeld geboren, aber noch in diesem Jahr übersiedelte die Familie nach Dalaas in Vorarlberg.

Die Mutter hatte ein Doktorat in Philosophie, was damals noch keine Selbstverständlichkeit war, und hatte vor ihrer Heirat in Graz und in Wien als Chemikerin gearbeitet.

Der Vater war als Bauingenieur und später als Geologe bei der Österreichischen Bundesbahn angestellt und im Rahmen der Elektrifizierung der Bahn im Staumauer -und Kraftwerksbau tätig. Das hatte für die Familie öfters ein Siedeln von Bergtal zu Bergtal die Folge.

Jähes Ende

1932 übersiedelt die Familie nach Wien, die Großstadt fiel über sie -erschreckend und lähmend. 1938 stellte sich heraus, dass Lisbeths Vater ein illegales Parteimitglied der Nationalsozialistischen Bewegung war, etwas, das er seinen Töchtern stets verheimlicht hatte.

Fast gleichzeitig erfuhr die Familie aber auch, dass der Großvater des Vaters Jude war. Der Vater, der zunächst noch mit den Nationalsozialisten sympathisiert hatte, verlor als Vierteljude sehr rasch seine Stellung und sein Gehalt. Erst allmählich gelang es ihm, wieder beruflich Fuß zu fassen.

Krankenschwester im Krieg

"Für mich war das alles unbegreiflich, man hatte uns Kinder vollkommen unpolitisch erzogen", sagt Lisbet Ascher. Sie beschließt, Krankenschwester zu werden, träumt von einem Einsatz in Afrika - und kommt an die Ostfront.

Nach dem Krieg - nach den anstrengenden intensiven Jahren als Schwester im Lazarett - konnte Lisbeth Ascher ihren Beruf für längere Zeit nicht mehr ausüben und beginnt eine Töpfereiausbildung. Sie war selbst krank geworden, war erschöpft und am Ende ihrer Kräfte. Erst durch die Pflege ihres todkranken Vaters fand sie wieder zum Pflegeberuf zurück.

Glaube an den Menschen

Sie widmet sich der Pflege von Patienten mit Multipler Sklerose, wird Ende der 50er Jahre Oberschwester im Unfallkrankenhaus Kalwang und leitet in den 70er Jahren den Pflegedienst im Landeskrankenhaus Feldbach, wo sie ihre Pflegephilosophie in einem neuen Pflegekonzept verwirklichen kann.

Kritisch sieht Lisbeth Ascher auch das aktuelle Ausbildungsmodell
für Pflegeberufe. "Man darf sich nicht wundern, dass viele nach einigen Jahren im Beruf erschöpft und überfordert sind", sagt Lisbeth Ascher. "Sie werden viel zu wenig auf die Belastungen ihres Berufes vorbereitet und viel zu früh zum Krankenbett geschickt."

Brücke zum Leben

Im Nachwort zu ihrem Buch "Pflege als Begegnung" schreibt Lisbeth Ascher :

"Ich bin in einer Zeit Krankenschwester geworden, in der es viel ärztliches Wissen und wirksame Medikamente, die heute so selbstverständlich erscheinen, noch nicht gab. Es waren gleichzeitig die dramatischen Jahre des Krieges. Aber gerade diese Zeit der Not hat mir einen wesentlichen Anteil der Pflege deutlich gemacht, den ich vielleicht sonst so nie erkannt hätte. Es ist dies das Aufspüren und Mobilisieren der Selbstheilungskräfte, die in jedem Menschen verborgen sind. Als Pflegende im Lazarett in Russland hatten wir in Wirklichkeit nichts anderes mehr einzusetzen als die große Sehnsucht nach der inneren Ganzheit des Menschen. Unsere Möglichkeiten waren sehr begrenzt. Große Bedeutung bekamen: Zuwendung, Verstehen, Gespräch, Anteilnahme, Mitgefühl und Phantasie. Wir versuchten, die eigene Beziehungsbereitschaft als eine Brücke zum Leben immer wieder neu anzubieten."

Buch-Tipp
Lisbeth Ascher, "Pflege als Begegnung. Eine Krankenschwester erzählt aus ihrem Leben", Facultas-Verlag, ISBN 385076561X