Philip-Roth-Roman als Fragment
Der menschliche Makel
US-Regisseur Robert Benton ("Kramer gegen Kramer") verfilmt den Bestseller-Roman "Der menschliche Makel" von Philip Roth. Er macht dabei eindeutig zu viele Kompromisse. Da hilft auch nicht die Starbesetzung mit Anthony Hopkins und Nicole Kidman.
8. April 2017, 21:58
Literaturprofessor Coleman Silk (Antony Hopkins) ärgert sich: Zwei Studenten sind seit Wochen nicht in seiner Vorlesung gewesen. Sind es Geister, oder gar "dunkle Gestalten", fragt er in das Auditorium. Was ein mittelmäßiger Scherz sein sollte, wird bald zum bitteren Ernst, denn was Silk nicht weiß: Die beiden Studenten sind Afroamerikaner und weil man sich im Amerika der späten 90er Jahre befindet, wird aus einem unbeabsichtigten Wortspiel rasch der Vorwurf des Rassismus.
Die politische Korrektheit fordert ihr Opfer: Silk verlässt die Universität. Kurz darauf stirbt seine Frau und mehr und mehr holt ihn die Vergangenheit ein. Silk ist selbst ein hellhäutiger Afroamerikaner, hat sich aber stets als Weißer durch das Leben geschwindelt.
Recht auf eigenes Schicksal
Täter und Opfer, Verleugnung und Selbstverleugnung, Identität und Individualität im Spannungsfeld gesellschaftlicher Zwänge. Mehr und mehr führt Regisseur Robert Benton all die Themen, die er aus Philip Roths Roman "Der menschliche Makel" extrahiert hat, zu einer zentralen These zusammen: Der Mensch, so Benton, habe ein Recht, in der Welt sein individuelles Schicksal zu bestimmen.
Für Professor Silk heißt das nicht zuletzt das Recht auf eine Affäre zu einer viel jüngeren Hilfsarbeiterin (Nicole Kidman), "nicht meine erste Liebe, nicht meine große Liebe, aber sicher meine letzte Liebe", wie Silk betont. Die Leidenschaft der beiden überwindet Altersgrenzen und Statusdenken, stößt aber auf den heuchlerischen Widerstand der Umwelt.
Folgenschwere Verkürzungen
Während sich der Roman von Philip Roth ausführlich individuellen und politischen Abgründen widmet, nimmt Robert Benton im Kino folgenschwere Verkürzungen vor. Wo Roth aus Ereignissen allgemeine Zustandsbeschreibungen einer Gesellschaft destilliert und den Bedingungen von Identitätsbildung nachspürt, sieht ein allzu kompromissbereiter Benton das leinwandtaugliche Potenzial vor allem in der Liebesgeschichte.
Konfusion statt Komplexität
Benton will aber typisches Hollywood-Kino vermeiden und dem Roman doch irgendwie gerecht werden, also schlägt er einen unproduktiven Mittelweg ein. So spürt man in seinen Bildern weder die Wucht, mit der Roth die Komplexität zwischenmenschlicher Beziehungen erfasst, noch kann man sich auf unbeschwerte Unterhaltung einlassen.
Aus Komplexität schöpft Benton Konfusion. Für ein Kinopublikum, das mit der literarischen Vorlage nicht vertraut ist, bleibt somit bis zum Schluss sehr vage, was denn unter dem "menschlichen Makel" - ein bei aller Anstrengung unveränderbares Stigma im Leben - nun zu verstehen sei.
Mehr dazu im Ö1 Inforadio (Interview mit Regisseur Robert Benton)
Der menschliche Makel
The Human Stain
USA, 2003
mit: Nicole Kidman, Anthony Hopkins, Gary Sinise, Ed Harris
Drehbuch: Nicholas Meyer
Regie: Robert Benton