Die Ohnmacht der Finanzaufsicht

Skandal ohne Grenzen

Der Skandal um den italienischen Lebensmitelkonzern Parmalat zieht immer weitere Kreise. Nun wird auch gegen Manager von sieben internationalen Geldinstituten ermittelt. Die Verdächtigungen reichen von Kursmanipulation bis zum schweren Börsenbetrug.

Der Chef der österreichischen Finanzaufsicht, Andreas Grünbichler, zum Parmalat-Skandal

Nach der Verhaftung von Unternehmensgründer Calisto Tanzi und mehrerer seiner engsten Vertrauten, darunter auch sein Sohn Stefano und Tochter Francesca, steht für die Staatsanwaltschaft längst fest, dass aus einem reinen Familienskandal ein internationaler Finanzbetrug mit kollosalen Ausmaßen geworden ist. Neben der Ermittlung gegen die Buchprüfungsgesellschaft Grant Thornton und der Überprüfung von rund 30 Politikern laufen nun auch Untersuchungen gegen internationale Geldinstitute.

Sieben Banken im Visier der Staatsanwaltschaft

Erst jüngst wurde die Liste jener sieben Banken veröffentlicht, gegen die ermittelt wird: Citigroup, Bank of America, Morgan Stanley, UBS, Deutsche Bank und die italienischen Institute Nextra und Banca Popolare di Lodi. Ihre Manager könnten lange vor der Parmalat-Insolvenz von der dramatischen Finanzlage des Konzerns gewusst und dennoch ihren Kunden die Bonds des Milchriesen angepriesen haben. Der Verdacht reicht von Kursmanipulation bis zum schweren Börsenbetrug.

Die Deutsche Bank hat beispielsweise im September letzten Jahres eine Parmalat-Obligation von 350 Millionen Euro am Markt platziert und im Oktober Anleihen im Nennwert von 130 Millionen gekauft. Außerdem hat sie ihre Beteiligung an Parmalat Ende November von 2,3 auf 5,2 Prozent aufgestockt, um sie einen Tag vor dem Zusammenbruch des Milchimperiums wieder auf 1,6 Prozent zu reduzieren.

Banken sehen sich als Opfer

Die Banken haben jeglichen Vorwurf zurückgewiesen. Sie selbst begreifen sich als Opfer der Parmalat-Betrügereien und prüfen rechtliche Schritte. Doch die Frage, warum das riesige Finanzloch des Unternehmens - man spricht von mehr als 14 Milliarden Euro - so lange unentdeckt bleiben konnte, wird dennoch hartnäckig gestellt, und auch Italiens Notenbankchef Antonio Fazio hat sie in einige Bedrängnis gebracht. Wirtschaftminister Giulio Tremonti zweifelt öffentlich daran, dass Fazio seine Aufsichtspflicht erfüllt hat:

"Da der Notenbank ja die zweifache Funktion der Banken- und der Emissionskontrolle obliegt, hätten ihre Inspektionen im Laufe der Jahre zumindest etwas Verdächtiges zu Tage fördern sollen. Was wir jetzt brauchen ist eine neue Behörde, die neben anderen Behörden über weitreichende Kompetenzen verfügt, um den von der Verfassung garantierten Schutz der Sparer zu gewährleisten."

"Behörde zum Schutz der Ersparnis"

Anfang des Monats hat Tremonti nun einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der eine Reform der Finanzmarktaufsicht in Italien vorsieht. Er weist der Börsenaufsichtsbehörde mehr Personal, mehr Geld und mehr Kompetenzen zu, so etwa soll sie künftig eigenmächtig die Finanzpolizei einsetzen können. Die neue so genannte "Behörde zum Schutz der Ersparnis" soll nach amerikanischem Vorbild auch über verschärfte Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten verfügen. Die angekündigte Entmachtung der Zentralbank ist allerdings weitgehend ausgeblieben. Sie wird weiterhin federführend für die Stabilität der Banken sorgen und behält auch ein Vetorecht bei Fusionen. Diese Reform wird allenthalben als etwas halbherzig kritisiert, dennoch zeigt sich Wirtschaftsminister Tremonti zufrieden:

"Ich bin sehr zufrieden. Dieses Gesetz ist gerecht, und hätten wir es schon früher in Kraft gesetzt, wäre wahrscheinlich nicht passiert, was wir jetzt miterleben müssen. Dieser Textentwurf soll das Vertrauen der Investoren im In- und Ausland wiederherstellen. Das Parlament wird gute Arbeit leisten, und wir können beruhigt sein."

"Ein Markt ohne Ethik funktioniert nicht"

Ob die Zuversicht der rund 800.000 geprellten Parmalat-Investoren so rasch wiederherzustellen ist, muss sich noch herausstellen. Umfragen verzeichnen nach wie vor ein Rekordtief des Verbrauchervertrauens in Italien. Immerhin aber hat dieser internationale Skandal das Bewusstsein für internationalen Handlungsbedarf geweckt. So wird nun auch der Internationale Währungsfond Inspektoren nach Italien entsenden. Die EU-Kommission prüft das Vorhaben, Unternehmen künftig zur regelmäßigen Rotation ihrer Wirtschaftsprüfer zu verpflichten, und Italiens Europaminister Rocco Buttiglione macht sich ganz grundsätzliche Gedanken darüber, wie man den wild globalisierten Kapitalmarkt auf den rechten Weg bringen könnte:

"Ein Markt ohne Ethik funtioniert nicht" - das ist wohl die Milch der frommen Denkungsart. Doch diese Milch war bei Parmalat nicht im Sortiment.

150 Millionen Euro Finanzspritze für Enrico Bondi

Indessen laufen in den Produktionshallen von Collecchio bei Parma die Milchkartons vom Fließband, so rasch und kontinuierlich, als sei am Fortbestand des Unternehmens nicht zu zweifeln. Denn trotz der desaströsen Finanzlage ist Parmalat, vom industriellen Standpunkt aus betrachtet, ein gesundes Unternehmen. Der Verkauf von Milchprodukten in Italien ist in den ersten drei Quartalen 2003 um 13,8 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum 2002 gestiegen. Dies ist wohl auch dem neuen Chef zu verdanken. Enrico Bondi, der von der Regierung eingesetzte Insolvenzkommissar, hat von den 20 Gläubigerbanken eine Finanzspritze von 150 Millionen Euro erhalten. Damit können die Löhne der Mitarbeiter und die Rechnungen der Michlieferanten weiter ausbezahlt werden - vorerst zumindest.

Arbeitsplätze höchste Priorität

Immerhin zählt der Schutz der rund 4.000 Parmalat-Arbeitsplätze in Italien nunmehr auch zu den Prioritäten von Ministerpräsident Silvio Berlusconi, der vor übertriebenen Reaktionen auf derartige Finanzskandale gewarnt hat:

"Man sollte jetzt keine Hexenjagd veranstalten und überzogene Kontrollen durchführen, weil keine Kontrolle funktionieren würde. Der Betrug ist so geschickt eingefädelt worden, dass es äußerst schwierig gewesen ist, ihn aufzudecken. Es handelt sich hier um ein Kunstwerk im Bereich der Betrügereien..."