Zwölf Erzählungen
Glückliche Fügung
Es sind Alltagssituationen, denen Anke Stelling in ihrem Erzählband nachgeht, Situationen, die in all ihrer Nachvollziehbarkeit dennoch immer an einem Abgrund entlang führen. Und von alltäglichen Menschen erzählt sie, die glücklichen Fügungen nicht trauen.
8. April 2017, 21:58
Anke Stelling vermittelt ein bestimmtes Lebensgefühl
Anke Stelling erzählt von Saskia, der Künstlerin, die in eine hoffnungslose Abhängigkeit von Werner geraten ist, von Silke, die mit einem Unbekannten in einer fremden Wohnung Weihnachten feiern soll, oder von Simone, der Heldin der Titelgeschichte, die in Hannes den perfekten Mann und Vater findet, aber der glücklichen Fügung in ihrem Leben nicht trauen will:
Nie zuvor war ein Mann zu ihr so herzlich gewesen, noch dazu an einem Abend, wo er selbst im Mittelpunkt stand und aufgeregt war. Sie überlegte, ob in so einem Verhalten vielleicht eine Schwäche lag, peinliche Servilität, etwas, wofür andere Frauen ihn verachten und fortan ausnutzen würden, aber er war einfach nur nett und natürlich. Sie trank ein bisschen Wasser aus dem Hahn und strich sich das Kleid glatt. Wie sollte sie ihm das zurückgeben? Sie musste sich ganz schnell etwas Kluges zu seiner Arbeit einfallen lasen, von der sie doch gar nichts verstanden hatte.
Assoziation zu Tante Jolesch
Fast möchte man bei Stellings Erzählungen an Friedrich Torberg und seine Tante Jolesch denken, die eindringlich vor allem warnt, was "noch ein Glück" ist. Denn Stellings Protagonisten bleiben trotz der vermeintlich glücklichen Fügungen in ihrem Leben einsam und nachdenklich, sie erhoffen das Glück, aber wenn es tatsächlich eintritt, trauen sie ihm nicht oder sind nicht fähig, es als solches zu erkennen.
Die intensive Prosa der Autorin verstärkt noch diesen Eindruck: Stelling schreibt unprätentiös, ohne Schnörkel und Verzierungen und auch ohne analytischen Zeigefinger, direkt und intensiv.
Leider nein
Insgesamt zwölf Erzählungen finden sich in dem Band, die älteste ist rund fünf Jahre alt, die jüngste vom vergangenen Sommer. Sie habe immer mal wieder zwischendurch an den Texten geschrieben, sagt Stelling. Trotzdem fügen sich die Geschichten zu einem logischen Ganzen zusammen, finden ihren gemeinsamen Nenner in einer lakonischen Betrachtung der Welt, sind manchmal tiefgründig und manchmal tragikomisch bis burlesk, wie etwa Stellings eigene Lieblingserzählung mit dem Titel "Leider nein":
"Es gibt ja manchmal so Fälle, wo man sich selbst überrascht wo einem etwas Lustiges einfällt, oder was Treffendes, und das gibt es in 'Leider nein'. Es ist eigentlich eine alberne Stelle, wo Sandra sich überlegt, dass es sich eigentlich nicht lohnt, sich morgens zu duschen."
Beim Duschen überlegte Sandra, dass sie aufhören sollte zu duschen. Die ewige Körperpflege trug entscheidend dazu bei, dass sie sich ungeliebt und unbeachtet vorkam. Jeden Morgen richtete sie etwas her, das den Tag über keinen Abnehmer fand und abends unbenutzt ins Bett zurückgelegt werden musste. Sie sollte vielleicht lieber aufhören, sich hinterrücks bereitzuhalten und damit ständig selbst zu demütigen. Wenn sie ungewaschen, ungezupft, klebrig und stinkend umherginge, könnte sie im Gegenteil froh sein, dass ihr niemand zu nahe kam.
"Aha"-Erlebnis der besonderen Art
In solchen Passagen erweist sich Stelling als wahre Meisterin der Beobachtung und der Reflexion und sorgt beim Leser für ein "Aha"-Erlebnis der ganz besonderen Art. Tatsächlich ist es genau das, worauf sie abzielt und womit sie sich beschäftigt. Und wenn sie auch derzeit an Drehbüchern arbeitet und der nächste Roman noch einige Zeit auf sich warten lassen wird, so hat Stelling mit ihrem Erzählband schon ein großes Versprechen für ihre weitere literarische Zukunft abgegeben.
Buch-Tipp
Anke Stelling, "Glückliche Fügung", S. Fischer Verlag 2004, ISBN 3596159741