Eine Biografie

Kant

Den meisten Menschen gilt Immanuel Kant als gestrenger, pedantischer Gelehrter. Als Urheber des "kategorischen Imperativs" genießt er in der Nachwelt den Ruf eines rigiden Metaphysikers. Dieses Bild rückt Manfred Kühn mit seiner neuen Biografie zurecht.

In dieser Biografie zeigt Manfred Kühn, Professor für Geschichte der Philosophie in Marburg, eindrücklich, wie Kants Freunde, gleichzeitig seine ersten Biografen, seinen Lebenslauf mit der damaligen Vorstellung eines preußischen Musterbürgers in Einklang brachten.

Was nicht in dieses Bild passte, nämlich Kants Kritik an den religiösen Vorstellungen seiner Zeit, seine Bewunderung für die Französische Revolution, seine fortschrittlichen pädagogischen Auffassungen, wurde heruntergespielt.

Lebensfroh, charmant und kultiviert

Manfred Kühn gelangt zu seiner Neudeutung, indem er sich nicht mehr auf diese frühen Biografen Kants stützt, sondern Zeugnisse anderer Zeitgenossen heranzieht. Auch die damaligen philosophischen Debatten und wissenschaftlichen Strömungen sowie das allgemeine politische und kulturelle Klima werden als Quellen benützt.

Durch diese neuen Linsen betrachtet entsteht das Bild eines lebensfrohen, charmanten und kultivierten Intellektuellen, der gern und häufig gesehener Gast in der Königsberger Gesellschaft war. Skizziert wird nun ein Kant, der auch gerne selbst Einladungen gab, Karten und Billard spielte und gelegentlich sogar einen über den Durst trank.

Kant entwickelte sich zu einem Menschen von Eleganz, zu einem Manne, der bei gesellschaftlichen Ereignissen mit seiner Intelligenz und seinem Witz brillierte. Er wurde ein 'eleganter Magister', der große Sorgfalt auf seine äußere Erscheinung verwendete und die Maxime hatte, es sei besser, ein stilvoller Narr als ein stilloser Narr zu sein und die Ansicht vertrat, es sei durchaus Pflicht, keinem in der Welt einen widerlichen oder auch nur auffallenden Eindruck zu machen.

Gelebte Ideale

Es war nicht nur Zerstreuung, die Kant in Gesellschaft suchte, sondern es war auch die gelebte Form seiner Vorstellung von der Aufklärung. Kant wollte manchen seiner Texte durchaus als Stellungnahme zu konkreten Debatten seiner Zeit verstanden wissen.

Seine Standpunkte vertrat er nicht nur schriftlich, sondern auch in der Diskussion mit Freunden und Gelehrten sowie in der entstehenden Königsberger Öffentlichkeit, denn Kant hatte eine sehr klare Vorstellung darüber, was die Rolle dieser Öffentlichkeit sei und welche Ziele sie verfolgen sollte.

Verfechter des Rechtsstaates

Als Verfechter der republikanischen Idee und des Rechtsstaates kam in seinen Augen der öffentlichen Debatte und der Meinung der Gelehrten eine wesentliche Rolle bei der Überwindung des Absolutismus zu. Für lange Zeit fand er einen verlässlichen Verbündeten in Friedrich II. und seinen Ministern.

Damals interessierten sich nämlich noch Minister für philosophische Subtilitäten, besuchten Vorlesungen und holten bei Reformen und Beschlüssen den Rat der Gelehrten ein.

Abhandlung als politischer Akt

Nach dem Tod des preußischen Königs und unter dem Eindruck der Französischen Revolution änderte sich das geistige Klima und wich einer dumpfen Reaktion unter Friedrich Wilhelm II. Selbst damals vertrat Kant weiterhin freimütig seine Meinung und holte sich prompt ein Publikationsverbot zu Themen der Religion ein. Auf die Bedrohung der Französischen Revolution reagierte das preußische Königshaus mit einem Rückfall in religiösen Konformismus.

Diese selbstzerstörerische Religionspolitik war genau das, was Kant in den Jahren 1788 bis 1790 beobachtete. Er sprach nicht nur zu einer breiten Öffentlichkeit, sondern auch zu Friedrich Wilhelm, den II. Seine Schrift 'Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft' war damit nicht bloß eine theoretische Abhandlung, die als Beitrag zur Religionsphilosophie gedacht war; sie stellte auch einen politischen Akt dar. Ja, in Wirklichkeit war sie in erster Linie ein politischer Akt. Kant hoffte, vielleicht naiv, das Verhalten seiner Leser und auch das des Königs zu ändern.

Gewitzter Autor und Menschenkenner

Dieses neue Kant-Bild steht im Einklang mit den Ideen in seinen Werken. Manfred Kühn gelingt der Nachweis, dass der Autor Kant mit dem Menschen Kant durchaus in Einklang stand. Kant war kein weltfremder Theoretiker, sondern ein gewitzter Autor und tiefer Menschenkenner, dem es nicht ums trockene Moralisieren zu tun war, sondern um die Würde des Menschen.

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Buch-Tipp
Manfred Kühn, "Kant. Eine Biographie", aus dem Englischen von Martin Pfeiffer, C.H. Beck Verlag 2004, ISBN 3406509185