Zwischen Gotteseros und Todessehnsucht

"Jung, hübsch, gequält"

In sehr vielen katholischen Kirchen ist sie präsent - die Statue des Heiligen Sebastian, von Pfeilen durchbohrt. Die Frage ist, warum? Was hat Menschen dazu bewogen, der Darstellung dieses gequälten Mannes eine so zentrale Rolle in sakralen Räumen zu geben?

Gabriel Ramin Schor über die Würde des Menschen

Jung, hübsch und gequält hängt er an einem Baumstamm, von Pfeilen durchbohrt und das Gesicht gegen Himmel gewendet. Die Statue des Heiligen Sebastians ist in den allermeisten katholischen Kirchen älteren Datums zu finden. Warum gehört just ein so anziehender junger Mann - fast nackt und mit Pfeilen gespickt und so viele Kircheninnenräume zierend - zu den beliebtesten Heiligenfiguren der europäischen Kirchengeschichte?

Die Legende des Heiligen Sebastian

Der Legende nach war der Heilige Sebastian ein römischer Offizier, der sich weigerte, seinen christlichen Glauben zu widerrufen und daher als Märtyrer starb. Als im Jahr 680 in Rom eine Pestepidemie ausbrach, trug man das Reliquiar mit seinen Gebeinen durch die Straßen der Stadt. Daraufhin sei die Pest erloschen, wird überliefert, und seither gilt Sebastian als Schutzpatron der Pestkranken.

Die sebastianischen Metamorphosen

Im Mittelalter wird er als älterer, ernster, Pfeile tragender Mann im Soldatengewand dargestellt. Zum hübschen, nackten, von Pfeilen durchbohrten Jüngling wird Sebastian erst im 14. Jahrhundert.

Das 19. und 20. Jahrhundert unterzieht den Heiligen Sebastian dann einer neuerlichen Metamorphose. Er wird zum inoffiziellen Heiligen der Homosexuellen und der Aidskranken. Für diese letzte Phase der Geschichte des Heiligen Sebastian könnte der Dichter Oscar Wilde mit seiner Geschichte von Dorian Gray eine Art Signet sein.

"Eine großartige Bereitschaft zu sterben"

Die Ausstellung in der Wiener Kunsthalle, die Gerald Matt kuratiert hat, widmet sich vorwiegend der Darstellung des Heiligen Sebastian durch zeitgenössische Künstler. Einzige Erinnerung an die bedeutende kunsthistorische Vorgeschichte ist ein großes Sebastian-Bild des Malers Guido Reni.

Wahrscheinlich hätte sich das der echte Heilige Sebastian nicht träumen lassen, dass er eines Tages als Thema der europäischen Mentalitätsgeschichte entdeckt wird. Und über die Ausstellung in der Wiener Kunsthalle, die unter dem Motto "A splendid readiness for death" - zu Deutsch "Eine großartige Bereitschaft zu sterben" - die allerneuesten künstlerischen Formen der Auseinandersetzung mit seiner Person zeigen, hätte er sich noch mehr gewundert.

Ein Bild der Dekadenz

Auf dem Bild Renis ist Sebastian sehr jung dargestellt, in einer Haltung der Hingabe, die man sonst nur bei weiblichen Aktdarstellungen findet. "Dieser Sebastian ist ein Bild der Dekadenz", meint Richard Kaye, Literaturwissenschaftler am Hunter College in New York. Er ist zu einem Symposium im Rahmen der Ausstellung extra nach Wien gekommen.

Dekadenz, das bedeutete im 19. Jahrhundert Abweichung von der gesellschaftlichen Norm. Mediziner des 19. Jahrhunderts beschrieben Homosexualität als Krankheit, weil das sexuelle Verhalten von der Norm abweicht. Die künstlerischen Darstellungen des Sebastian sind eine Art von Protest gegen diese medizinische Nomenklatur.

Die Ästhetik der Dekadenz

Auch wenn es die Beziehung zwischen moderner Kunst und dem Martyrium des Heiligen Sebastian gibt, es gibt auch die Reaktion gegen Naturwissenschaft und Medizin. Und daher wenden sich viele Vertreter einer Ästhetik der Dekadenz zu Ende des 19. Jahrhunderts der Darstellung des Sebastian zu, um ihre sexuellen Vorlieben zu verbergen und zu kodifizieren.

Sexualität wird auf diese Weise zu einer Angelegenheit der Ästhetik. Der heilige Sebastian ist nicht so sehr eine perverse und homosexuelle Figur, er ist auch ein schöner Mann, ein exquisiter Mann. Es ist eine Reaktion gegen das hässliche Vokabular der Medizin.

Die doppelte Botschaft der Märtyrer

Religionssoziologe Adolf Holl sieht in den Bildern der Märtyrer eine doppelte Botschaft:

"Die Bilder der Märtyrer sind in den katholischen Kirchen überall präsent. Und sie vermitteln eine doppelte Botschaft. Einerseits ist ein Märtyrer jemand, der wie Jesus für seine Überzeugung furchtlos mit seinem Leben einsteht. Auf der anderen Seite aber transportieren die Bilder der Märtyrer eine destruktive Mischung von Schmerz, Tod und Erotik. Das abendländische Christentum bekommt so eine stark nekrophile Tendenz. Damals hat es jedenfalls diese Verquickung von Lust und Tod, von Sadomasochismus und Nekrophilie noch nicht gekannt. Denn die allerersten christlichen Bilder aus den römischen Katakomben zeigen nicht den Gekreuzigten und Gemarterten, sondern Christus als einen bartlosen, freundlichen Hirten."

So Adolf Holl. Und es gibt auch eine Überlieferung von einem lächelnden Christus.

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Ausstellungs-Tipp
"Heiliger Sebastian. A Splendid readiness for death", Kunsthalle Wien, Halle 2, bis 15. Februar 2004

Links
Der Heilige Sebastian - ökumenisches Heiligenlexikon
Kunsthalle Wien