Das Triest des Günther Schatzdorfer
Aperitivo Triestino
Günther Schatzdorfer liebt die italienischen Küste. Nach dem Band "Küstenland" hat er voriges Jahr ein Porträt der Stadt Triest in Buch-Form herausgebracht: eine Reise durch Vergangenheit und Gegenwart der facettenreichen Stadt.
8. April 2017, 21:58
"In Triest kann alles passieren. Auch, dass ein merkwürdiger, Bier trinkender Italiener wie ich einen feinsinnigen, Wein trinkenden Österreicher wie Günther Schatzdorfer trifft. (...) Eine teuflische Begegnung. Dieser hagere und fremde Intellektuelle, das sah ich sofort, genoss die Stadt mehr als ich. Er schlürfte mit orientalischer Gelassenheit seinen Gewürz-Traminer an einem Tisch eines zur untergehenden Sonne hin geöffneten habsburgischen Caffès, er nahm Licht und Geräusche in sich auf, und die letzten Sonnenstrahlen unterstrichen sine ironisches Profil, mit der markanten Falte zwischen den Augenbrauen, mit der ewig brennenden, zu drei Vierteln abgebrannten Zigarette, ein gereifter Lebemann. Dieser verdammte Wiener, dachte ich, war ein perfekter Triestiner. Ein unruhiger Stammgast verrauchter Kneipen und offener Räume. Ein Mann verrückter Winde und verrückter Erkenntnisse."
So beschreibt der italienische Journalist Paolo Rumiz im Vorwort zu dem Buch "Triest, Porträt einer Stadt" seine Begegnung mit dem Österreicher Günther Schatzdorfer.
Fotografische Beobachtung
Seit bald drei Jahrzehnten zieht es den Maler und Schriftsteller immer wieder in die Stadt am Rand des Karstes, ins Hinterland und in den kleinen Fischerhafen Duino.
Während seiner oft wochenlangen Aufenthalte erweist sich Günther Schatzdorfer als aufmerksamer Beobachter, der mit einem fast fotografischen Gedächtnis Situationen, Bilder und Details absorbiert und später in Geschichten, Essays, Acrylbildern und Aquarellen Gestalt verleiht.
Riva, Altstadt und Borgo Teresiano
Dies ist die Zone Triests, die jeder zu kennen meint. Hier verdichten sich die touristischen Sehenswürdigkeiten ebenso wie das kaufmännische Leben. (...) Das Zentrum der Stadt ist nach wie vor die Piazza Unità d'Italia, einstmals Piazza Grande, welche auf drei Seiten von prächtigen Gebäuden umsäumt ist und dessen vierte Fassade vom Meer gebildet wird. An der einen Ecke zum Ufer hin steht ein mondänes Hotel, das gleich drei Namen hat: "Savoy Excelsior Palace Hotel"; womit man wohl darauf aufmerksam machen wollte, dass es eben kein einfaches Luxus-Hotel ist. Hier stiegen die Reisenden der 1. Klasse ab, um auf ihre Schiffe zu warten, elegante Ozean-Riesen, wie die "Saturnia", "Vulcania" oder "Victoria". (...)
Gegenüber dem Hotel ragt eine riesige Mole hinaus in das Wasser der Adria, in deren Mitte ein ebenso gigantisches Gebäude steht: die ehemalige Stazione Maritima. Heute ist darin ein Kongresszentrum untergebracht. Hier bestieg man damals den Dampfer, die Passagiere erster Klasse das Deck, die weniger wohlhabenden Emigranten, die Flüchtlinge aber krochen in den Bauch des Schiffes.
Vielschichtig wie Blätterteig
Triest ist die Stadt des Stimmengewirrs. Die Menschen reden viel und verstehen einander kaum. Die Mentalitäten sind vielschichtig wie Blätterteig, dessen Schichten sich nicht zu einer homogenen Masse verbinden lassen. Gemeinsam ist der Bevölkerung seit ihren Ursprüngen nur der Wohnort, der Schauplatz des täglichen Lebens. (...)
Es ist ein grobes Missverständnis, von Triest als einer mitteleuropäischen Stadt zu sprechen. Triest liegt zwischen Prag und Tiflis, zwischen Palermo und Jerusalem, zwischen Belgrad und Wien, Sarajewo und Venedig. Triest ist eine Hafenstadt am Ufer des Karstes, wo Kulturen aus aller Welt sich festgesetzt haben wie Muscheln.
Hör-Tipp
Ambiente, Sonntag, 16. April 2006, 10:06 Uhr
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Buch-Tipps
Günther Schatzdorfer, "Küstenland. 50 Triestiner Ansichten, Essays und Berichte", Edition Atelier im Wiener Journal, ISBN 3853080014
Günther Schatzdorfer, "Triest. Portrait einer Stadt. Essays und Geschichten", Edition Atelier im Wiener Journal, ISBN 3853080839