Historisches Instrument aus dem 20. Jahrhundert
Der Bajan
Sein Element ist die Luft. Sein Platz ist nahe dem Herzen. Sein Spieler umarmt ihn und tanzt mit ihm. Er kann klingen wie ein ganzes Orchester. Heute hört man ihn in Konzertsälen - oder in U-Bahn-Passagen und Fußgängerzonen reicher Städte...
8. April 2017, 21:58
Aus Igor Strawinskis "Die Maurin", am Bajan Friedrich Lips
Vor genau 175 Jahren meldete der Wiener Cyrillus Demian ein Gerät zum Patent an, das er sich als Stimmhilfe für seinen Beruf als Orgel- und Klavierbauer konstruiert hatte.
Sein "Accordion" wird zu Concertina, Bandoneon, Steirischer, Schwyzerörgeli, Schrammelharmonika, Schifferklavier und in Russland zum Bajan. Ihre Gemeinsamkeit: ausnahmslos finden sie ihren Einsatz in der Volksmusik.
Serenaden fürs Volk
Jeder, der Russland kennt, kennt sie, diese Abende zwischen Frühsommer und Spätherbst: Nach getaner Arbeit sitzen die Frauen auf der Bank vor dem Hauseingang - ganz gleich, ob vor einer Holzhütte im Dorf oder vor einem Stiegenhaus in der Trabantensiedlung. Dieser Brauch hat sich - trotz Konkurrenz durch Hauptabendprogramme - bis heute erhalten. Und unbedingt ist Bajanmusik zu hören.
Ideologisches Transportmittel
Schulen, Universitäten und Musikhochschulen standen allen offen, und namhafte Künstler wurden auf Jahrestourneen durch sibirisches Hinterland geschickt.
Auch wenn Bildung und Kunst sich in der jungen Sowjetunion freier entfalten durften, wurden sie sehr wohl in eine bestimmte Richtung gelenkt.
In den 1930er und 40er Jahren wurden viele Instrumente als zu bürgerlich, zu westlich abgelehnt, darunter das Klavier, die Gitarre oder die Orgel. Auch das Piano-Akkordeon war politisch unerwünscht, samt Tango, Foxtrott und Jazz, der darauf gespielt wurde. Der Bajan war als "vaterländisches Volksinstrument" davon ausgenommen.
Vom Hinterhof in den Konzertsaal
Was eigentlich das Bandoneon hätte werden sollen, nämlich ein Orgelersatz für die Kirche, hat der Bajan vom Klang her eher geschafft. Heute wird der Konzertbajan von ambitionierten InstrumentalistInnen wie von zeitgenössischen KomponistInnen ernst genommen. Er hat den Sprung vom Hinterhof in den Konzertsaal geschafft. Die russische Komponistin Sofia Gubaidulina, die in Deutschland lebt, hat die vielseitigen Möglichkeiten erkannt und schreibt mit Vorliebe Werke für Bajan.
Der Troubadour und die tragbare Orgel
Der Name "Bajan" ist einem altrussischen Literaturdenkmal entlehnt. Im Igor-Lied, einem Poem aus dem 12. Jahrhundert, heißt der fahrende Sänger und Geschichtenerzähler "Bojan". Möglicherweise sollte mit dieser Namensgebung dem Instrument ein historisierendes Programm aufgeprägt werden. Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Literatur für Bajan, und die Art wie das Instrument heute gespielt wird, beweisen eine hohe "moderne Tauglichkeit".
Ö1 Clubmitglieder können die Sendung am Donnerstag, den 4. November, nach Ende der Live-Ausstrahlung des dritten Teiles im Download-Bereich runterladen.
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Bajan Welt