Brillant und souverän

Ein Jahrhundertgeiger

Nur wenige Jahre nach dem "Mythos" Jascha Heifetz geboren und ein Mitschüler Heifetz beim legendären Professor Auer in St. Petersburg, gehört Nathan Milstein zu den größten Geigern des 20. Jahrhunderts.

Prelude aus der Partita E-Dur - Studioaufnahme im Jahre 1957 und Live-Aufnahme Salzburger Festspiele 1955.

Milstein war ein "Winner"-Typ. Ob Kammermusik oder Konzert: Vom aller ersten Aufsetzen des Bogens wird klar, dass er hier der Solist ist. Die anderen verschwinden in den Hintergrund, ohne dass Milstein irgendwelche Attitüden zeigen würde. Doch allein sein Ton ist so siegessicher und klar, dass alles andere zum Beiwerk wird.

Unwiderstehliche Brillanz

Seine Interpretation klingt klug, die schwierigsten Linien wie geometrisch abgezirkelt, Milstein lässt uns die Musik klar erkennen. Nur scheinbar zeigte er wenig Emotion. In Wirklichkeit gab er der Musik die Möglichkeit, sich gleichsam selbst zu entfalten.

Die unbegleiteten Solowerke von Bach ebenso die romantischen Konzerte von Tschaikowsky oder Glasunow spielte Milstein mit der gleichen hellen, klaren, ja sonnigen Tongebung und unwiderstehlicher Brillanz.

Viele Aufnahmen gingen verloren

Erstaunlicherweise ist von der relativ großen Menge an Schallaufnahmen viel verlorengegangen bzw. nicht mehr aufgelegt worden. Den Großteil hat Milstein in den 50er und 60er Jahren eingespielt, als er selbst bereits über 50 Jahre alt war.

Aus jener Zeit stammen auch die Tondokumente mit den Sonaten und Partiten von J.S.Bach. Milstein nahm die sechs Werke gleich zweimal in ihrer Gesamtheit auf; dazu sind, als Mitschnitt der Salzburger Festspiele 1956 und 1957, einzelne Werke aus dem großen Zyklus erschienen. Sowohl im Studio als auch in der Konzertsituation zeigt Milstein unerschütterliche Souveränität und urwüchsiges Musikantentum.

Verwirrung um Geburtstag des Musikers

Übrigens findet man in der einschlägigen Literatur mindestens zwei Geburtsdaten von Nathan Milstein. Die richtige Auskunft gibt er selbst, in seinen höchst lesenwerten Erinnerungen, die als Taschenbuch unter dem Titel "Lassen Sie ihn doch Geige lernen" bei Piper-Schott erschienen sind: "Ich wurde am letzten Tag des Jahres 1903 geboren. Als mein beinahe gleichaltriger Freund, der Pianist Vladimir (Wolodja) Horowitz, und ich, 22 Jahre später Russland in Richtung Westen verlassen wollten, mussten wir uns ein Jahr jünger machen. Sonst hätten wir die Ausreiseerlaubnis nicht bekommen, da unser Jahrgang gerade zum Militär eingezogen wurde. Dies erklärt, warum in vielen Büchern für mich 1904 als Geburtsjahr angegeben wird, obwohl es falsch ist."

Tipp
Zum 100.Geburtstag am 31. Dezember 2003 hat Albert Hosp das im ORF vorhandene Archivmaterial durchgehört, und präsentiert sowohl, was am Markt noch erhältlich ist, als auch verschollene Raritäten. Vor allem letztere werden zeigen, wie schade es ist, dass von diesem Jahrhundertgeiger nicht mehr Aufnahmen verfügbar sind.