Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten

Das Wunder von Bern

Regisseur Sönke Wortmann kokettiert in seinem Film mit der Legendenbildung rund um den Fußball-Weltmeistertitel der Deutschen 1954. Dieser sportliche Erfolg dient aber vor allem als Aufhänger für eine Familiengeschichte zwischen Verbitterung und Versöhnung.

Die Rückkehr des Vaters aus der Kriegsgefangenschaft ist für die Familie eine Belastungsprobe.

Ohne den Gewinn des Fußball-Weltmeistertitels 1954 wäre die deutsche Nachkriegsgeschichte anders verlaufen, meinen manche Historiker. Eine Meinung, die mit unzulässiger Legendenbildung kokettiert. Kein Problem für den deutschen Regisseur Sönke Wortmann, der "Das Wunder von Bern" in seinem gleichnamigen Film nach den Regeln des modernen Unterhaltungskinos nochmals auf der Leinwand aufleben lässt.

Die Fakten sind bekannt: David Deutschland gewinnt gegen den damaligen Fußballgoliath Ungarn. Der Außenseiter schlägt den Favoriten. Die Spannung ist stets mit einem Krimi vergleichbar. Für das Unterhaltungskino ein gefundenes Fressen. Möchte man glauben.

Von der Heimkehr enttäuscht

Doch weit hinter den Kulissen dieses Erfolgs schlägt Wortmann die Brücke von den 50er Jahren in die 40er Jahre, macht die sportliche Großtat zum Aufhänger für eine rührend-tragische Familiengeschichte im Ruhrgebiet. Der Vater wird vermisst. Arbeitslager in Sibirien. Mutter und Kinder schlagen sich mit Fleiß und Mühe zu Hause durch.

1954: Rückkehr des Vaters, doch was ein Fest sein sollte wird zu einem psychischen Desaster. Vom Krieg gebrochen, von der Heimkehr und vor allem der Disziplinlosigkeit der Familie enttäuscht, herrscht mehr Verdruss als Freude.

Der Verbitterung des Vaters stellt Sönke Wortmann den kindlichen Optimismus des fußballverrückten Sohnes entgegen, dem das runde Leder ungeahnte Hoffnungen gibt. Und in der Folge - hin zum so genannten Wirtschaftswunder - einer ganzen Nation. Vor allem der Vater-Sohn-Konflikt ist nicht zuletzt nach biografischen Motiven von Regisseur Sönke Wortmann, der übrigens selbst Profi-Fußballer war, entstanden.

Gespräch mit der Putzfrau

Während sich Wortmann anfänglich um eine genaue Zeichnung der Figuren und insbesondere der innerfamiliären Spannungen bemüht, so geht die differenzierte Herangehensweise umso mehr verloren, je näher - parallel dazu - das Endspiel der deutschen Elf bei den Weltmeisterschaften in Bern rückt.

Sichtlich gefällt es Wortmann, im Freudentaumel rund um das historische Großereignis auf der Leinwand mitzuschwelgen. Und so manches Zitat, das Sportgeschichte geschrieben hat, erhellt Wortmann auf seine Weise. Es war die Putzfrau in einem Schweizer Hotel, der Herberger eines seiner bekanntesten Bonmots gesteckt hat: "Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten!" Aha.

Liebe statt Hiebe

Wo in Rainer Werner Fassbinders Film "Die Ehe der Maria Braun" (1978) mit dem Schlusspfiff in Bern die Entfremdung zwischen zwei Menschen in einer Katastrophe gipfelte, findet Sönke Wortmann einen unglaubwürdig raschen und glatten Ausweg. "Liebe statt Hiebe" ist die Erfolgformel, mit der nicht nur der Vater seinen Frieden mit der Familie schließt, sondern auch der Trainer die Nationalmannschaft zu Höchstleistungen treibt.

"Eine übertrieben schwülstige Versöhnungsgeschichte", urteilte denn auch die Berliner Zeitung, von "Postkartenidylle" sprach "Die Welt". "Das Wunder von Bern", diese individuelle Kraftanstrengung eines Kollektivs fügt sich hier via Film nahtlos in den kollektiven Gründungsmythos einer ganzen Nation. Sönke Wortmann hält Rückschau und möchte dennoch vor allem stets nach vorne blicken, also Aufbruchstimmung verbreiten. Parallelen zur politischen Gegenwart Deutschlands sind dabei keineswegs zufällig.

Das Wunder von Bern
Deutschland, 2003
mit: Peter Lohmeyer, Katharina Wackernagel, Peter Franke
Drehbuch und Regie: Sönke Wortmann