Nur ein toter Dichter ist ein guter Dichter?

Ich sterbe, also bin ich

Ob sich Schriftsteller häufiger umbringen als andere Leute, weiß keiner, doch die Liste der Autoren, die nicht auf ihr Ableben warten wollten, ist lang. Einer, der (fast) alle Facetten des Lebens verneinte, starb jedoch eines natürlichen Todes: E. M. Cioran.

Es gibt keine relevanten Statistiken, ob sich Schriftsteller häufiger umbringen als andere Leute, doch die Liste der Autoren, die es vorzogen, freiwillig aus dem Leben zu scheiden, ist lang: Heinrich von Kleist, Georg Trakl, Virginia Woolf, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig, Ernst Toller, Klaus Mann, Wladimir Majakowskij, Primo Levi, Ernest Hemingway, Ryunosuke Akutagawa, Silvia Plath usw. usf.

Ferdinand Raimund schoss sich in den Mund, Paul Celan ging ins Wasser und Konrad Bayer spielte mit Gas, Jean Améry nahm sich in einem Salzburger Nobelhotel das Leben.

Todesgedanken als Therapie

Einer, der ein Leben lang den "Nachteil, geboren zu sein" beklagte, war der große rumänische Aphorist E. M. Cioran. Cioran starb 1995 - eines natürlichen Todes. Für ihn war der Gedanke, dass man sich notfalls auch umbringen kann, eine Art Therapie.

Man fürchtet die Zukunft nur, wenn man nicht sicher ist, sich im geeigneten Augenblick töten zu können.

Durch welche Verwirrung ist die einzig vernünftige Tat, der Selbstmord, zum Alleinrecht der Belasteten geworden?

Zweifel an der Skepsis

Bereits als Schüler leidet Cioran unter Schlaflosigkeit. Die durchwachten Nächte geben viel Zeit zum Denken, zur Skepsis gegenüber dem Denken, und zum Zweifel am Skeptizismus.

Mit dem Tod setzt er sich bereits in seinem Erstlingswerk "Auf den Gipfeln der Verzweiflung" intensiv auseinander:

Und ich bekenne, dass mir die Negativität des Todes Bewunderung abringt.

Warum ich nicht Selbstmord verübe? Weil mich sowohl das Leben als auch der Tod anwidern. Ich bin ein Mensch, der in einen Flammenkessel geworfen werden müsste. Ich verstehe absolut nicht, was ich in dieser Welt zu suchen habe.

Das Leben verneinen

Für den ewig an sich selbst zweifelnden Skeptiker "am Rande der Literatur" ist die Wurzel allen Übels der Anfang - die Geburt:

Jeder sühnt seinen ersten Augenblick.

Dem Älterwerden konnte er ebenfalls keine positiven Seiten abgewinnen:

Je mehr man lebt, desto weniger erscheint es angebracht, gelebt zu haben.

Deprimierender Erfolg

Besonders deprimierend fand Cioran Ruhm und Erfolg. Preise für seine Bücher lehnte er mit der Begründung ab, dass seine Esays allesamt Werke der Negation sind, daher negiere er selbst auch jede Auszeichnung. Ein Dichter war für ihn ein Scheiternder, der keine Kompromisse eingeht.

Jahre hindurch, tatsächlich ein Leben lang nur an die letzten Augenblicke gedacht haben, um, wenn sie endlich da sind, festzustellen, dass das unnötig war, dass der Gedanke an den Tod zu allem hilft, nur nicht zum Sterben!

Service

E. M. Ciorans Bücher sind im Suhrkamp Verlag erschienen.
(Die im Text verwendeten Zitate wurden von Ferdinand Leopold und Francois Bondy übersetzt.)

E. M. Cioran