Kampf um die Zukunft Irans
Gott ist mit den Furchtlosen
Als die iranische Anwältin Schirin Ebadi mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, trat der zu erwartende ignorante Aha-Effekt ein: Schirin wer? Die Antwort: Schirin Ebadi kämpft mit dem Koran für Reformen im iranischen Gottesstaat.
8. April 2017, 21:58
"Schirin wer?" nennt die deutsche Iranistin Katajun Amirpur gleich das erste Kapitel ihres Buches über die Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi . Selbst im Iran kennt man sie kaum, auch wenn sie für die allmähliche Veränderung der Gesellschaft in der liberaleren Phase nach Ayatollah Khomeini mit verantwortlich ist.
Mit dem Koran gegen den Koran
Im Iran herrscht immer noch islamisches Recht, jede politische Entscheidung wird auf ihre Vereinbarkeit mit dem Koran überprüft, wobei der Koran weniger wichtig ist als die Auslegungskunst der Mullahs.
In diesem System hatte Schirin Ebadi nie eine Chance, für ihre Anliegen, also Menschenrechte und da besonders die Rechte der Frauen und Kinder, eine Öffentlichkeit zu finden. Also beschloss sie, das politische und religiöse Establishment mit deren eigenen Mitteln anzugreifen, das heißt: mit dem Koran.
"Der Kampf muss im Inneren eines Landes und einer Gesellschaft geführt werden", sagt Schirin Ebadi, "jede fremde Einmischung erschwert dieses Ringen nur."
Auslegungssache
Entgegen der im Westen weit verbreiteten Auffassung, der Koran sei die Grundlage für die mittelalterliche Rechtsauffassung in den islamischen Ländern, behauptet Schirin Ebadi, einzig die falsche Auslegung der Schriften Mohammeds durch den patriarchalen Klerus sei für die unerträgliche Gesellschaftsordnung in diesen Ländern verantwortlich. Man könne, ist sie überzeugt, mit dem selben Text die scheinbare Unfehlbarkeit der Mullahs ins Wanken bringen. Der Islam, sagt sie, sei für die nur ein Vorwand, die Macht abzusichern.
Dem theokratischen Staatsmodell in Iran ist die Gesellschaft abhanden gekommen. (...) Im Laufe der 90er Jahre kristallisierte sich immer deutlicher heraus, dass sogar jene Bevölkerungsschichten, auf deren Loyalität die islamische Republik gründete, sich in Scharen von der eigenen politischen Elite abgewandt hatten. Viele sind zu den radikalsten Kritikern des Establishments geworden.
Die erste Richterin des Iran
Selbstbewusst war Schirin Ebadi schon immer. Im Schah-Regime wurde die ehrgeizige Juristin 1969 als erste Frau in der Geschichte des Iran zur Richterin berufen. Da war sie gerade 22 Jahre alt.
Nach der Revolution von 1978/79 musste sie zurücktreten. Nach Auffassung des konservativen Klerus darf keine Frau über einen Mann richten. Sie wurde Verwaltungsbeamtin, 1984 machte sie sich als Anwältin selbständig.
"Rechte werden einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen," sagt Schirin Ebadi.
An die Menschenrechte glauben
Sie durchforstete den Koran nach Stellen, die ihre Auffassung eines modernen Scheidungs- und Sorgerechts bestätigten und wusste damit vor Gericht zu überzeugen. Sie trat dafür ein, dass das Heiratsalter für Mädchen hinaufgesetzt wurde und Ehen nicht von den Vätern erzwungen werden durften. Sie verteidigte Frauenrechtlerinnen, denen Hochverrat zur Last gelegt wurde, weil sie im Ausland über Menschenrechtsverletzungen im Iran referiert hatten.
Sie brachte ein Komplott ans Tageslicht, bei dem mehrere Oppositionspolitiker von Geheimdienstmitarbeitern ermordet wurden. Führende Geistliche sollen darin verwickelt gewesen sein. Das war im Jahr 2000. Sie wurde verhaftet, kam aber wieder frei. Nicht zuletzt deshalb, weil ihre Arbeit auf internationaler Ebene Anerkennung gefunden hatte. Man konnte sie nicht so einfach im Gefängnis verschwinden lassen.
Am wichtigsten ist nicht, welche Religion, Sprache oder Kultur man hat, sondern dass man an die Menschenrechte glaubt.
Die Geschichte einer couragierten Frau
Über Schirin Ebadi gibt es nichts Spektakuläres zu berichten. Ihre Geschichte ist die Geschichte einer couragierten Frau, die sich von der politischen Elite nicht einschüchtern lässt, weil sie weiß, dass das Reformbedürfnis im Iran weitaus größer ist, als der Glaube an die Unfehlbarkeit der Mullahs. Sie hat - freilich in mühsamer Kleinarbeit und unter Hinnahme zahlreicher Repressalien - bewiesen, dass eine islamische Gesellschaft von innen her zu erneuern ist. Dazu braucht es keine Invasoren aus dem christlichen Abendland.
Der Islam, das ist ihre Botschaft, kann genauso wie das Christentum die Grundlage für eine aufgeklärte Gesellschaft bilden, für ein modernes Rechtssystem, für eine funktionierende Demokratie. Freilich, ohne die Verabschiedung des Klerus aus der Legislative wird sich kaum etwas bewegen lassen.
Mehr zu Schirin Ebadi in ORF.at (10. Oktober 2003)
Buch-Tipp
Katajun Amirpur, "Gott ist mit den Furchtlosen. Schirin Ebadi - Die Friedensnobelpreisträgerin und der Kampf um die Zukunft Irans", Herder Verlag 2003, ISBN 3451054698
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