Jazz, Tango und Klassik vom Feinsten
Jazz auf dem Lande
Der Jazz ist in den großen Städten zu Hause. Die Festivals aber finden meistens auf dem Land oder zumindest in kleineren Städten statt. So auch das Viersen-Festival, das heuer wieder eine Reihe herausragender Konzerte bot.
8. April 2017, 21:58
The Ron Carter Quartet: "You and the Night and the Music"
Das Internationale Jazzfestival in Viersen in Nordrhein-Westfalen bot heuer wieder eine Reihe exzellenter Konzerte. Herausragend drei Auftritte, die sich im klassischen Sinn als schön bezeichnen lassen. Bass-Altmeister Ron Carter balancierte mit seinem Quartett an einem ästhetischen Weg voll wunderbarer, sparsamer Töne entlang. Akkordeonist Richard Galliano zelebrierte mit einer Streichergruppe die Musik Astor Piazzollas und der junge Saxofonist Chris Potter, längst ein Star, überzeugte mit klaren und strukturierten Tönen.
Jazz auf dem Lande
Der Jazz ist in den großen Städten zu Hause. Die Festivals werden aber meistens auf dem Land oder zumindest in kleineren Städten abgehalten. Zu dem Schluss kann man kommen, wenn man sich die vielen renommierten Festivals in Europa ansieht.
Saalfelden beherbergt eines der wichtigsten Jazzfestivals Europas, im oberösterreichischen Ulrichsberg ist die Avantgarde beheimatet und im niederbayerischen Straubing strömten heuer mehr als 2000 Besucher pro Abend ins Zelt, um Dee Dee Bridgewater und George Benson zu hören. Im kleinen Ort Diersbach im Innviertel wiederum veranstaltet Paul Zauner auf seinem Bauernhof alljährlich zu Pfingsten das Inntöne-Festival mit Stars aus aller Welt.
Jazzmittelpunkt Viersen
Die Stadt Viersen, eine weltoffene Kleinstadt zwischen Düsseldorf und der niederländischen Stadt Venlo gelegen, war heuer schon zum 17. Mal Gastgeber dieses internationalen Jazz-Spektakels. Ali Haurand ist nicht nur ein exzellenter Bassist und Journalist, er ist auch Kurator dieses Festivals, und das mit sicherer Hand und einem unglaublichen Gespür. Was sich schlicht "Viersener Festhalle" nennt, entpuppt sich als großes, städtisches Theater mit Platz für mehr als 1000 Besucher. Am 26. und 27. September dieses Jahres war Viersen wieder Anziehungspunkt für Musikfreunde aus Nah und Fern.
Legenden und die Ästhetik der Musik
Es gibt Musiker, die müssen sich und den anderen nicht mehr beweisen, wie gut sie sind. Mit innerer Größe und Reife kann man musizieren, wenn man, wie es so schön heißt, Geschichte geschrieben und mitgestaltet hat.
Bassist Ron Carter ist so ein Fall. Bis 1968 war er Mitglied im Miles Davis Quintett, arbeitete mit Pianist Herbie Hancock, spielte mehr als 3000 Platten und CDs ein und erhielt auch einen Grammy. Die Jazzlegende gastierte in Viersen mit seinem Quartett, dessen Mitglieder dem Meister um nichts nachstehen.
Ron Carter, der Pianist Stephen Scott, der Schlagzeuger Payton Crossley und der Perkussionist Steve Kroon boten ein Konzert voll Souveränität, feiertäglicher Relaxtheit und einfacher Schönheit.
Jazz, Tango und Klassik
Der französische Akkordeon-Pionier Richard Galliano kam mit einem Streichquartett nach Viersen. Galliano zelebrierte in unnachahmlicher Schönheit die Musik seines Freundes und Schöpfers des "Tango Nuevo", Astor Piazolla. Die Stunde mit Galliano war eine geniale Wanderung zwischen Klassik, Jazz und dem argentinischen Tango.
Der 1950 in Cannes geborene Akkordeonist hatte bereits ab dem vierten Lebensjahr Unterricht bei seinem Vater. Als Vorbilder nennt Galliano u. a. die Pianisten Bill Evans und Keith Jarrett sowie die Saxofonisten Charlie Parker und John Coltrane.
Ausführliche Soli und Genialität
Chris Potter wird nicht zu Unrecht als neuer Saxofonstar bezeichnet. In Viersen spielte er im Trio mit dem Bassisten Scott Colley und dem Drummer Bill Stewart. Pianist Kevin Hayes fehlte wegen einer Erkrankung. Die Triobesetzung bot aber Gelegenheit für ausführliche, schöne und manchmal gewundene Soli von einzigartiger Prägnanz und Genialität.
Viersen und anderswo
Das Jazzfestival Viersen zeigte, dass der Jazz überall dort ist, wo ein beherzter Kurator zur Stelle ist, und wo das Publikum gute Musik zu schätzen weiß. Es war ein Festival, das täglich mehr als 1000 Menschen anzog. Und diese waren nicht nur Jazzfans. Zahlreiche Gäste bezeichneten sich in Gesprächen als Klassik- oder schlicht als Musikfreunde. Dass alle Freude an den Konzerten hatten, beweist, dass Jazz oft akzeptiert wird, wenn man ihn nicht ausdrücklich Jazz nennt und wenn die Hörerinnen und Hörer - ganz einfach gesagt - ein Ohr haben für gute Musik.