Räume der Spiritualität

Heilige Orte - Orte der Kraft

Bestimmte Orte haben eine besondere Ausstrahlung, sagt man. Und manchmal kann man das ja auch spüren. Das Raumgefühl in einer gotischen Kathedrale zum Beispiel ist ganz anders als in einem Wiener Gemeindebau...

Ingrid Riedel über Orte, die eine Seele haben

Magische Stätten, Orte der Kraft, Kultplätze haben in den letzten Jahrzehnten eine ungeahnte Faszination ausgelöst. Plätze der Natur - Stätten der Kultur - Räume der Spiritualität - Orte, von denen man sich angezogen fühlt, die die eigene Psyche bewegen, nähren, bereichern. Orte, die eine Seele zu scheinen haben ...

Beseelte Orte

"Orte werden zu beseelten Orten, weil es etwas gibt, mit dem Menschen in Resonanz treten, sei es von Menschenhand geschaffen oder einfach von Natur aus so. Manchmal reicht ja ein Spaziergang in die umliegenden Wiesen und Wälder, um beseelte Orte zu finden, an denen man gern länger bleiben möchte." - So Ingrid Riedel - Psychotherapeutin in Konstanz, Professorin für Psychologie in Frankfurt und Dozentin am C. G. Jung-Institut in Zürich.

Auch diese einfachen Orte können etwas Besonderes bewirken. Sanddünen am Meer zum Beispiel haben oft Formen wie menschliche Körper, weiche geschwungene Hügel. Diese besondere Qualität einer Landschaft ist kaum zu fotografieren - eher noch gibt es so etwas wie ein akustisches Bild besonderer Gegenden. Eines der berühmtesten Beispiele ist die Komposition "La mer" von Claude Debussy."

Der Nachklang der Erinnerung

Vor allem die Erinnerung an solche Orte, in denen man Ergriffenheit von ihrer Lage, ihrer Gestalt, Geschichte und Bedeutsamkeit, aber auch traurige Ereignisse erfahren hat, prägt sich tief ins Unterbewusstsein: der Unfalltod eines geliebten Menschen zum Beispiel, wenn die Familie am Ort des Unfalls ein kleines Kreuz mit Blumen und Kerzen aufstellt ...

"Es gibt die unterschiedlichsten Formen, heilige Orte zu schaffen. Manchmal entsteht ein beseelter, besonderer Ort erst dadurch, dass er sich mit dem Wissen um vergangene Ereignisse verbindet. Das ist dann vor allem Imagination, die diesen Ort beseelt,"

... meint Ingrid Riedel, die in ihrem Buch "Beseelte Orte" zahlreiche Beispiele nennt, die sie im Laufe der letzten 25 Jahre auf ihren Reisen nach Irland, in die Bretagne nach Malta, nach Israel, in die Türkei, nach Ägypten, Algerien, Marokko und Libyen kennengelernt hat.

Das "unterirdische" Hypogäum

Ingrid Riedel ist es beispielsweise bei einem gut 6000 Jahre alten Kultplatz in Malta so gegangen, dem Hypogäum - ein Platz, der vermutlich der Einweihung von Priesterinnen einer Göttin diente:

"Das Hypogäum, das "Unterirdische", ist wie der Innenraum eines riesigen Erdleibes ausgestaltet. Raum greift in Raum. Hier waren die verstorbenen Priesterinnen begraben, im gleichen Berg wurden die jungen Priesterinnen ihrer Initiation entgegengeführt, im gleichen Berg ruhten sie im Initiationsschlaf oder im Heilschlaf, wobei sie an den Kräften sowohl der großen Mutter Erde wie der hier ruhenden Toten Anteil bekamen. Die jungen Priesterkandidatinnen wurden vermutlich bei Dunkelheit durch das Labyrinth der immer tiefer abfallenden Räume geschleust, durch die sie sich medial-instinktiv hindurchtasten mussten, wenn sie sich nicht den Hals brechen wollten. Wer lebend herauskam, hatte eine symbolische Todeserfahrung gemacht, war weiser geworden - eine Voraussetzung damals für die Ausübung des Priesterinnenamtes im Dienste der großen Lebensmutter."

Die Felsenkirche in Helsinki

Beeindruckend auch, wie Ingrid Riedel in ihrem Buch neben der Tempelruine der Mnajdra auf der Insel Malta oder dem Isis-Tempel von Sabratha in Libyen die 1969 in Helsinki in einen Granitfels hineingebaute Felsenkirche "Temppeliaukio Kirkko" beschreibt:

"Als ich durch eine Glastür von der Straße aus den Raum der Kirche betrat, schätzte ich seine Höhe gegen 25 Meter, also doppelt so hoch, wie er wirklich ist. Dieser Raum - tief im Urgestein der Erde - löst das Gefühl der Urgeborgenheit aus, etwas, was uns heute in vielen unserer Lebensräume und auch in unserem Lebensgefühl fehlt. Er öffnet sich aber auch zugleich dem Einströmen des Lichtes unter dem weiten Kuppeldach, das durch einen milden Kupferschimmer etwas Warmes, Schwingendes, sich Auffaltendes und doch Beschützendes bekommt und ausstrahlt."

Wallfahrtskirchen - Orte der Kraft

Orte erhalten ihre besondere Qualität durch das, was an ihnen geschieht, was an ihnen irgendwie hängen bleibt und die Atmosphäre des Ortes bestimmt.

Ein besonderes Beispiel für Orte der Kraft sind Wallfahrtskirchen. Die Menschen, die hierher kommen, gehen irgendwie gekräftigt und erhoben wieder nach Hause. Die Wallfahrtskirche von Weiz in der Steiermark zum Beispiel ist nach dem Ende einer Pestepidemie gebaut worden, und bis heute pilgern Menschen nach Weiz als einem Ort der Erneuerung und der Kraft, erzählt Günther Zgubic, der lange in Weiz als Pfarrer tätig war.

Die Atmosphäre des Stephansdoms

Gabriele Buchas - in ihrem Beruf Fremdenführerin - schreibt in einer Broschüre über Plätze der Kraft in Wien:

"Alte Kirchenräume sind so angelegt, dass der Hochaltar nach Osten in Richtung Sonnenaufgang schaut. Und für St. Stephan hat man bei der Grundsteinlegung am 26. 12. 1137 genau ausgerechnet, wo die Sonne im Osten aufgeht. Und die Sonne wiederum gibt den Menschen besondere Kraft. Man hat im Mittelalter offenbar große Mühe darauf verwendet, Sakralräume zu Orten zu gestalten, die Menschen als heilig empfinden und die ihnen Kraft geben."

St. Stephan ist die Hauptkirche von Wien und einer der großen gotischen Dome Europas. Wer in die Kirche eintritt, spürt plötzlich eine andere Atmosphäre - eine gewisse Ruhe, obwohl es im Dom keineswegs still ist, dafür sind hier viel zu viele Menschen unterwegs. Doch der hohe, weite Raum vermittelt eine Ahnung von einer anderen Dimension. Manche beten vor dem Pocs-Altar, manche suchen die Eligius-Kapelle auf, wo das Allerheiligste aufgestellt ist. Andere wieder kommen ganz einfach zum Gottesdienst, um wieder Kraft zu schöpfen.

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Buch-Tipp
Ingrid Riedel, "Beseelte Orte", Kreuz Verlag, ISBN 3783119847

Link
Ingrid Riedel - Biografie und Werke